Sonntag, 19. Dezember 2010

Was in mir ist, das ist auch draußen



Warum putze ich mein Auto, als wäre es ein realer zu pflegender Teil meiner Person? Wieso ordne ich meine Wohnung, mein Büro und sogar meine Theorien mit einer geradezu erschreckenden Sorgfalt, als ginge es hierbei um mein physisches Leben oder meinen Tod? Was ist diese innere drängende Leidenschaft, die wie eine Sucht anmutet? Im Folgenden möchte ich nun versuchen dieser Frage etwas genauer nachzugehen.
Offensichtlich ist wirklich etwas Wahres daran, dass ich äußere Objekte und sogar theoretische Konstrukte zu einem Teil meiner physischen und psychischen Person mache. Wie aber kommt es zu einer solchen außersubjektiven Interaktion? Als Erklärungsgrundalge nehme ich mir wieder sowohl existenzphilosophische als auch objektbeziehungstheoretische Überlegungen zur Hilfe. Wir müssen nun wieder weit in die frühkindliche Entwicklungsgeschichte zurückgehen und überlegen, welche Folgen die Einverleibung von Bezugspersonen für das Individuum hat. Ich habe bereits erläutert, dass bei der physischen und dann psychischen Einverleibung diejenigen Eigenschaften, die das Objekt an sich selber schätzt, seitens des Objekts auch vom Subjekt erwartet werden. Damit werden dem Individuum von seiner Bezugswelt unbewusst regelrechte Gebote auferlegt, wie es genau zu sein hat, um angenommen, versorgt und geliebt zu werden. Dabei bekommt es aber durch das Stoßen seiner subjektiven Bedürfnisse an die Grenze der Objektwelt auch gleichzeitig bestimmte Verbote auferlegt, wie es in gar keinem Fall zu sein hat, wenn die Versorgung wichtiger Grundbedürfnisse weiterhin unmittelbar stattfinden soll. Die von der Gesellschaft vermeintlich unerwünschten Eigenschaften unterdrückt das Objekt (meist die Eltern) zunächst sowohl an sich selbst als auch später am Subjekt (dem Kind). Das Subjekt formt sich unwissendlich also in seinem Streben nach Kontakt (Befriedigung, Angenommensein und später auch Anerkennung) genau nach den Wünschen des Objekts, um von diesem angenommen zu werden und Sicherheit im Fortbestehen der physischen und psychischen Existenz zu bekommen. Es unterdrückt seine eher unerwünschten Anteile, wodurch diese aber auch erstmals bewusst präsent, spürbar und wahrnehmbar werden. In der Anpassung an die Wünsche der Bezugspersonen werden also nicht nur die erwünschten ,guten’ sondern zugleich auch die unerwünschten ,bösen’ Eigenschaften prägnant, die aber zu einer Zeit der frühkindlichen Abhängigkeit von der Bezugsperson auch eine Beziehungsgefährdung darstellen, wenn sie zu dominant werden. Existenzialistisch lässt es sich wie folgt ausdrücken: Als Kleinkind wähle ich unbewusst nicht nur die guten Entwurfanteile, sondern auch die sich davon abgrenzenden bösen. Ich bilde also im Zuge der Introjektion – der Bildung eines innerpsychischen Bildes von mir selbst und meinem Gegenüber – immer auch ein negativ bewertetes Gegenstück aus, das ich in mir auf Distanz vom guten Selbstbild halten muss, da es mich mit Verurteilungen unterdrückt und mir die Seinsberechtigung in Form eines grundlegenden Gut- oder O.K.-seins abzusprechen droht. Dieses böse und bedrohliche Gegenstück ist umso mächtiger und existenziell bedrohlicher, je stärker der frühere Sozialisationsdruck war das gute Selbstbild auszuformen und damit das böse zu unterdrücken. Druck meint hier das Maß der Gefahr eines möglichen Liebesentzugs durch das versorgende Bezugsobjekt. Einfacher ausgedrückt könnte man sagen, dass durch zu viel Anpassungsdruck das Selbstbild zu stark und einseitig in einen relativ kleinen guten und einen übermäßig negativen Anteil gespalten wird. Wie geht nun aber das gute Selbstbild mit seinem unliebsamen Gegenstück um, wenn dieses im Sinne des organismischen Strebens nach Überleben ebenfalls zu seiner Daseinsberechtigung kommen will und muss? Und wo genau kommt denn das böse Gegenstück eigentlich her? Bei der Bildung psychischer Instanzen (Repräsentanzen) durch die fortschreitende Einverleibung der Objektwelt werden die eigenen physischen und psychischen und eher diffusen Impulse zunehmend nach den Vorbildern der versorgenden Bezugspersonen ,programmiert’. Dabei geschieht zweierlei: Zum einen passt sich das Individuum dem erwünschten Verhalten des Objekts an, welches ihm Versorgung und Existenzsicherung verschafft. Zum anderen verinnerlicht es aber auch dessen an sich selbst abgelehnten Selbstanteile, die sein Gut-sein bedrohten. Damit übernimmt es aber auch dessen Art und Weise der Abwehr der unliebsamen Anteile und somit die charakterlichen Abwehrmechanismen gegenüber bedrohlich empfundenen Objekten. Das erwünschte Selbstbild und die vermeintlich gefährlichen Anteile sowie Abwehrmechanismen kommen nicht überein und so versteckt das Objekt diese im Handeln dennoch oft sichtbaren ,inneren Saboteure und Soldaten’ unbewusst vor sich selbst und seiner Umwelt. Zeigt das Kind dann ein vom Objekt übernommenes Verhalten, welches von den Bezugspersonen unerwünscht ist, wird es durch Androhung von Liebesentzug ebenfalls zur Korrektur seines Verhaltens und damit zur Verdrängung unerwünschter Verhaltensweisen gezwungen. Die Eltern projizieren in diesen Situationen ihre eigenen unterdrückten Verhaltensweisen auf das Kind und bekämpfen sie dort. Es kommt also im Zuge der Sozialisation zu einer immer feineren Selektion erwünschter von unerwünschten Eigenschaften durch die sanktionierenden oder belohnenden Bezugspersonen (vgl. FAIRBAIRN, 2007, S. 205 ff). Wenn sowohl die unerwünschten bösen Eigenschaften als auch die erwünschten guten Anteile tatsächlich einst Bestandteil der Bezugspersonen der Objektwelt waren, bevor diese durch Selektion ein differenzierter Teil meines Selbst wurden, ist auch klar, dass ich diese bedrohlichen Eigenschaften wieder äußeren Objekten zuschreiben kann, was schlicht weg eine andere Definition von Projektion ist. Man projiziert jedoch viel weniger die guten und angenommenen Selbstanteile auf die Umwelt als die unerwünschten. Gute Eigenschaften beziehe ich also gemeinhin ohne weiteres auf mich selbst, denn sie versprechen als akzeptierte Seinsentwürfe Anerkennung und Seinsbestätigung. Und natürlich idealisiere ich zur Selbstaufwertung auch gelegentlich äußere Objekte meiner Umwelt. Böse Eigenschaften behandele ich dagegen wie von mir abgegrenzte und außerhalb meiner Psyche und Physis stehende Personen oder Objekte. Und genau hier zeigt sich der Sinn dieser außerpsychischen Verortung. Die scheinbar dinghaften und von mir abgrenzbaren Eigenschaften sind von mir symbolisch auf der Kognitions- und Handlungsebene viel formbarer, als wenn ich sie in der Verschmelzung mit mir selbst versuchsweise auf Abstand halten würde. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ich über eine Abgrenzung nachdenke, darüber konkret rede oder sogar symbolisch an einem Ersatzobjekt, welches meinen zu bearbeitenden und abzugrenzenden Anteil repräsentiert, Hand anlege. Die Steigerung vom bloßen Unbehagen über das reflektierende Denken und Reden hin zum Handeln bedeutet also eine Zunahme an Selbstwirksamkeitsgefühl und stellt damit auch eine zunehmende Qualität des Sich-in-Situation-begebens dar (vgl. SARTRE, 2006, S. 833 ff, 905, 941 ff). Vom bloßen Empfinden bis hin zum konkreten Handeln steigert sich also auch das Ablenkungspotenzial vom Nichtseinskomplex – dem endlosen Kreisen der Selbstreflexion. Wenn mich die bösen und mein Gut-sein infrage stellenden Anteile 1. durch mangelnde Selbstbestätigung, 2. durch zu wenige gute verinnerlichte Introjekte, 3. durch plötzliche Überbewertung derselben durch Kritik aus der Umwelt oder 4. durch zu geringe Differenzierung von den guten Anteilen zu überschwemmen drohen, so ist meine empfundene Existenzberechtigung stark gefährdet. In diesem Fall ist meine psychische Struktur geschwächt und ich bin nicht mehr in der Lage durch einen inneren Dialog zwischen meinen guten erregenden und meinen bösen frustrierenden Selbstanteilen (Introjekten) einen befriedigenden Konsens mit dem Ziel einer inneren Ausgeglichenheit, Zufriedenheit und Gelassenheit (Seinsberechtigung) herzustellen (vgl. FAIRBAIRN, 2007, S. 166 ff). Ich kann mich dann entweder selbst beziehungsweise den unerwünschten Anteil von mir so behandeln, wie es einst meine Bezugspersonen mit mir gemacht haben. Oder aber ich verlagere meine bösen und bedrohlichen Eigenschaften durch Projektion nach außen und bearbeite sie dort. Im ersten Fall ist die Verlagerung nach außen aufgrund der zu hohen Verschmelzung von guten und bösen Anteilen noch nicht möglich. Das Subjekt konnte sich in diesem Fall einer unzureichenden Bedürfnisbefriedigung durch die Objektwelt (mangelnde Spiegelung eines guten Seins führt zu empfundener Sinn- und Seinsleere) und der hieraus resultierenden enormen unbewussten Existenzangst des Verlassenwerdens von der Bezugsperson in der frühesten Entwicklungsphase noch nicht ausreichend von dieser abnabeln und sich daher auch noch nicht als ein gegenüber der Mutter eigenständiges, abgegrenztes, gutes und angenommenes Individuum empfinden. Es musste sich daher weiter an ihr festhalten und blieb letztlich so mit dieser verschmolzen, ohne sich gegen die Versagung und Infragestellung wehren zu können. Das hat auch zur Folge, dass das Individuum die empfundenen Existenzängste noch nicht abgegrenzt für sich sondern nur sehr diffus und unkonkret somatisch-vegetativ wahrnehmen kann, was wiederum eine sehr große Bedrohung für das Individuum darstellt, da der innere ,Feind’ in diesem Entwicklungsstadium der Verschmelzung und Symbiose mit der Mutter noch nicht verortet und bekämpft werden kann. In dieser Verschmelzung bleibt die äußere Bedrohung ein verschmolzener Teil des Individuums selbst. Die diffusen Existenzängste sind dabei noch nicht neurotisch an bestimmte äußere Gegebenheiten wie Phobien oder andere differenziertere Befürchtungen koppelbar. Im zweiten Fall fand diese essentielle Differenzierung zwischen Subjekt und Objekt in einer folgenden Entwicklungsstufe bereits statt, da sich das Individuum durch eine stabile und versorgende Beziehung zum Bezugsobjekt von diesem als ein selbstwirksameres und grundlegend gutes Individuum bereits somatisch-vegetativ und innerseelisch lösen konnte. Mit diesem inneren Vertrauen in sein Gut-sein und seine Beziehungsstabilität zum versorgenden Bezugsobjekt konnte auch das Wagnis einer Unterscheidung von inneren guten und äußeren bösen Anteilen eingegangen werden. Daraus ergibt sich, dass sich die tiefgreifenden diffusen Existenzängste bereits in neurotischer Qualität an bestimmten symptomartigen Ängsten, die vom Subjekt getrennt erlebt werden, außerhalb von diesem manifestieren können. Wenn ich es also schaffe meine unerwünschten Eigenschaften auf meine sowohl belebte als auch unbelebte Umwelt zu projizieren, dann kann ich sie dort auch physisch in Form wirksamer Rituale solange bearbeiten und korrigieren, bis sie wieder gut und annehmbar sind. Nichts anderes tut man, wenn man zum Beispiel auch esoterische oder religiöse Rituale praktiziert. Immer geht es dabei darum, innerseelische Konflikte oder Bedrohungen durch negativ bewertete Selbstanteile ins Außen zu projizieren, sie dort zu verorten und verdinglicht greifbarer und kontrollierbarer zu machen. Erst wenn diese psychischen Eigenschaften in der Umwelt verarbeitet wurden, nehme ich sie unmerklich wieder von der physischen Objektwelt in mein psychisches Innenleben auf und introjiziere sie, wo sie dann zum Guten geformt keinen Widerspruch zu meinen erwünschten Eigenschaften und folglich keine Bedrohung mehr für meine Existenz darstellen. Dann können sie gestärkt und wohlwollend den friedlichen inneren Dialog zugunsten des positiven Selbstbildes wieder erneut aufnehmen, was wiederum die Grundvoraussetzung für den friedlichen Dialog und Umgang mit äußeren Objekten bildet. Die nun guten reintrojizierten Anteile unterdrücken das gute Selbst jetzt nicht mehr so sehr und verstärken das sonst als bedroht empfundene grundlegende Gut- und Liebenswert-sein. Da aber die rituelle Bearbeitung und Selbststrukturierung eine Ersatzlösung und Ersatzbearbeitung sind und nicht wirklich das ursprüngliche bedrohliche Objekt der frühen Kindheit beeinflussen, ist auch die Wirksamkeit der Umformung nur von zeitlich begrenzter Dauer. Zur Korrektur der inneren Unausgewogenheit zwischen guten und bösen Selbstanteilen benötigt man eine reale Beziehung zu einer Person, die mit einer sicheren Beziehung nachträglich auf allen Seinsebenen (somatisch, kognitiv, emotional) zunächst eine innere Ablösung vom Objekt, dann eine Konsolidierung der sich noch widersprechenden Anteile und letztlich deren nachträgliche psychische Introjektion ermöglicht. Die haltende und vor allem gegenüber den wechselnden guten wie bösen Introjekten des Gegenübers aushaltende Beziehung ist wie ein Container (vgl. BRISCH, 2010, S. 86, 122 ff), in dem diese sich bekriegenden und gegenseitig schwächenden Selbst- und Objektrepräsentanzen sicher behalten werden und keinen Schaden anrichten können. Der Therapeut bildet mit seinem Aushalten einen solchen Container und lässt sich von den vielfach gespaltenen aber hochdynamischen Selbstanteilen im besten Fall zwar berühren, jedoch nicht ernstlich aus der Ruhe bringen. Dabei strahlt er Sicherheit, Zuversicht und ein tiefes Grundvertrauen sowohl in das Leben allgemein als auch in sich selbst und in sein Gegenüber aus. Mit diesem ausstrahlenden Vertrauen bildet er eine sichere Bindung und kann trotz ,angreifender’ Beziehungsimpulse seines Gegenübers ruhig, gefasst und liebevoll wertschätzend bleiben. Dann können widersprüchliche Bedürfnisse nebeneinander existieren, ohne sich dabei gegenseitig auszuschließen und in die Gefahr des Liebesentzugs zu manövrieren. Es bedarf dann weder einer übermäßig durchlässigen Introjektion von stützenden Helfern, bei der das Innerseelische vollständig durch die idealisierte Person des Helfers überlagert wird, noch einer übermäßig abgrenzenden Projektion von schwächenden und das positive Selbstbild infrage stellenden ,Saboteuren’ (vgl. FAIRBAIRN, 2007, S. 135 ff).
Hier kurz ein Beispiel für die Spaltung zwischen guten und bösen Selbstanteilen: Wenn die frühere Bezugsperson selber in sich Zügellosigkeit, Unordnung und Faulheit als einen ursprünglich natürlichen Zustand aggressiv bekämpft, dann werden auch das Kind und der spätere Erwachsene in sich diese Zügellosigkeit als schlimm empfinden, sie unterdrücken und bei anderen Personen und Gegenständen aggressiv zu bearbeiten versuchen. Das kann bis zu einem ausgeklügelten System an Zwangsritualen führen, bei dem Unordnung, Schmutz und Chaos als vermeintliche äußere Bedrohung des eigenen Gut-seins, welches nur gut ist, wenn man sauber, leistungsorientiert, korrekt und ordentlich ist, erlebt werden und daher weggeputzt, geordnet und kontrolliert werden müssen, um sie stellvertretend für die negativen Selbstanteile wieder als annehmbar und weniger gefährlich zurücknehmen zu können. Mit diesem Mechanismus können aber nicht nur abgelehnte Introjekte annehmbar geformt und reintrojiziert werden. Diese Methode ermöglicht es auch sich der dinglichen Umwelt zu bedienen, wenn sich das gute Selbstbild als zu klein und minderwertig empfindet. Indem ich mir beispielsweise gute und wertvolle Dinge der Außenwelt physisch aneigne, erweitere ich mein Selbst um diese guten Objekte und verleibe sie mir ein. Das können ein tolles Auto, eine umfassende mächtige Theorie oder andere Zuwendung und Bewunderung versprechende Gegenstände sein. Werden diese Gegenstände dann jedoch von anderen Personen infrage gestellt, kritisiert oder real beschädigt, so empfinde ich eine tiefe Verletzung mit einer derart existenziellen Intensität, als sei sie mir seelisch unmittelbar vom einstigen Bezugsobjekt zugefügt worden. Nicht nur mein Auto wird dann in meinem Empfinden schwer beschädigt, sondern auch ich selber. Der Faden an Möglichkeiten im alternativen Umgang mit außerseelischen Objekten lässt sich noch wesentlich weiter spinnen. Wir Menschen lassen zum Beispiel keine Gelegenheit aus, unsere stetig mitschwingende und unbewusste Angst vor dem Sterben in der Außenwelt greifbar, verstehbar und damit verdrängbar zu machen. Das Böse soll so definiert, eingekreist und als unschädlich vor dem Bewusstsein weggeschlossen werden. Dies geschieht beispielsweise bei Unfällen, die wir bezeugen, oder ähnlichen bedrohlichen Ereignissen. Dabei unterliegt man einem regelrechten Zwang, den Tod und dessen Verweise auf ihn zu erspähen, um ihn dann wieder als ein separates Ding an anderer Stelle zu verorten, zu verharmlosen und schließlich wieder ganz zu verdrängen. Es wäre also zu einfach und viel zu kurz gegriffen, diesen inneren Zwang, bei dem der Tod verdinglicht und dadurch verdrängbar gemacht werden soll, einfach nur stupiden Voyeurismus zu nennen. Zwei letzte Beispiele seien hier noch angeführt. Wenn sich das gute Introjekt beispielsweise von zuviel Aggressivität des bösen Selbstanteils bedroht fühlt, kann es diese destruktiven und aggressiven Anteile ebenfalls nach außen verlagern und dort an Gegenständen oder Personen bekämpfen, indem es diese zerstört, ihnen böse Absichten unterstellt und sie quält. In Wirklichkeit aber quälen die abgelehnten aggressiven Impulse das Subjekt selbst von innen her. Nur sind sie außen kontrollierbarer und können für eine gewisse Zeit wirklich spürbar vernichtet werden. Jedoch kommen die Existenzängste tief aus uns selbst heraus als Folge einseitig angepasster Objektbeziehungen, und sie wollen auch in uns selbst akzeptiert und angenommen werden. In einem anderen Fall können die inneren bösen Anteile noch nicht vom Subjekt unterschieden werden und bleiben mit diesem verschmolzen, was eine ständige Angst verursacht von solchen negativen Introjekten überschwemmt und vernichtet zu werden. Sie vermitteln uns dann manchmal das schizoide Empfinden grundlegend falsch zu sein, was eine regelrechte Selbstentfremdung bedeuten kann. Die Bekämpfungsimpulse können dann nicht stellvertretend an äußeren Objekten ausgeführt werden, sondern nur autoaggressiv am Subjekt selbst, da diese Anteile noch diffus mit dem Subjekt verschmolzen sind. Eine solche Selbstverletzung stellt auch wieder einen Versuch dar, die diffusen Existenzängste irgendwie dinglich (stellvertretend für die realen Objekte der Kindheit) zu verorten und dort zu bekämpfen. Nur sind sie wegen ihrer Verschmelzung noch nicht als abgrenzbare Einheiten projizierbar. Ihre Bekämpfung kann bis zum Suizid führen, bei dem die Existenzangst noch nicht einmal an separierte Körperstellen geknüpft werden kann, wie es beim selbstverletzenden Ritzen der Borderlinepersönlichkeitsstörung der Fall ist. Ähnliches geschieht auch beim Abhungern der gesamten Person bis hin zum Tod. Hierbei wird ebenfalls die gesamte Person durch verinnerlichte negative und kritische Introjekte infrage gestellt und körperlich bekämpft. Nur findet die Bekämpfung hierbei nicht an bestimmten Körperpartien statt, sondern diffus durch Magern im gesamten Organismus, um sich den inneren Feind ,vom Leibe’ zu halten. Im Falle einer tiefgreifenden Depression bleibt die Angst derart diffus im ganzen Individuum verteilt, dass das ganze Subjekt vernichtet werden muss, um alle negativen Introjekte sicher auszuschalten und eine innere Erlösung zu erlangen. Im Falle einer sehr starken Verschmelzung der guten und bösen Introjekte ist die Abgrenzung und Zurückdrängung der diffusen bösen Anteile durch Projektion zurück in die Außenwelt vermutlich so schwierig, dass die guten Anteile – im Sinne der Psychosomatik – möglicherweise durch ganze innere Organkomplexe, die einst mit der Angst vor Zurückweisung eines kindlichen Bedürfnisses durch die versagende Bezugsperson in Verbindung standen, bekämpft und unterdrückt werden. Die einst objektgerichteten Triebstrebungen wurden auf das Subjekt zurückgelenkt, da sie von der Objektwelt in irgendeiner Form abgelehnt wurden. Der introjizierte Unterdrücker (die verinnerlichte einst versagende und zurückweisende Bezugsperson) ist nun selbst Teil der Psyche des Subjekts geworden. So kann das Subjekt seinen verinnerlichten Aggressor nicht im Außen bekämpfen, sondern wird von diesem als nun negativer Selbstanteil in sich selbst aggressiv in Schach gehalten. Die Existenzangst kann somit nicht auf ein äußeres Objekt verschoben und dort abgewehrt werden. Vielmehr bleibt sie in diesem Fall tief im Individuum im Somatischen verwurzelt. Bereits WILHELM REICH (2006, S. 449 f.) verwies auf den Zusammenhang zwischen anorganischer, organisch-vegetativer und psychischer Existenz. Seiner Meinung nach findet das Anorganische der Objektwelt seine Äquivalenz im biochemischen Aufbau und Funktionieren des Organischen. Das Psychische wiederum sei der Niederschlag aus dem Organisch-vegetativen. Folglich bezieht REICH diese Feststellung auch auf den Zusammenhang zwischen seelischer und körperlicher Spannung. Angst und Aggression, die in den kindlichen Konflikten mit Bezugspersonen langanhaltend gegenüber diesen empfunden werden, erfahren über das vegetative Nervensystem einen späteren somatischen Niederschlag in Form von chronischen Muskelspannungen. Angst vor Versagung erzeugt also ihr physisches Gegenstück als muskuläre Spannung. Diese Muskelspannung wiederum soll das permanente Empfinden der seelischen Angst verringern, um überhaupt existieren zu können, wobei jedoch die Angst in der Muskelverspannung fern vom Bewusstsein gespeichert bleibt. Die Muskelspannung hilft also dabei die diffusen und nicht klar zu verortenden Existenzängste zu verdrängen. REICH führt an, dass so zum Beispiel die Muskulatur besonders in Schrecksituationen durch die Sympathikusfunktion gespannt und gelähmt wird. Begibt sich das Individuum dann sofort durch eine Flucht- oder Angriffsbewegung objektgerichtet In-Situation, so mündet diese zuvor diffuse und lähmende Angst des Schreckens ohne ein zuvor erkennbares Ziel (Starre des Totstellreflexes) in eine gerichtete und Objekt bezogene Handlung. Dadurch weicht auch das unklare Angstempfinden einer zielgerichteten und mit einem bestimmten Affekt einhergehenden Motorik. REICH spricht hier von der Auflockerung und Auflösung eines über Jahre hinweg muskulär erstarrten Charakterpanzers durch im Organismus gebundene vegetative Energie. Demnach kann psychische Anspannung auch in eine bestimmte Körperstellung durch Verspannung der Muskulatur münden. Wer sich beispielsweise seiner Umwelt durch Angst vor Versagung durch diese nicht ,gewachsen’ und nicht auf Augenhöhe empfindet, kann diese Angst durch archaische Körperreaktionen wie die des Duckens vor Feinden unterdrücken, was langfristig zu einer chronisch geduckten Körperhaltung führen kann. Der Schluss liegt nahe, dass bei übermäßig verschmolzenen guten und bösen Selbstrepräsentanzen scheinbar voneinander abgrenzbare und verdinglichte Selbstanteile nicht verdrängt oder zielgerichtet projektiv im Außen bekämpft werden können. Die diffusen Existenzängste bleiben ohne eine kognitive Subjekt- und Objektdifferenzierung auf einer emotional-vegetativen Entwicklungsstufe fixiert. Vegetativ introjizierte psychische Anteile bekommen so die Qualität kognitiv noch nicht differenzierbarer physischer Anspannungen bis hin zu im Erwachsenenalter wiederkehrenden chronischen Schmerzen, was gemeinhin auch als Resomatisierung bezeichnet wird (vgl. MENTZOS, 2005, S. 246 f.). Und wahrscheinlich sind die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie sowie die Gestalttherapie genau auf dem richtigen Weg, wenn sie versuchen inneren diffusen und sich gegenseitig unterdrückenden Selbstanteilen einen äußeren Dialog in der Objektwelt mittels projektiver Hinausverlagerung und Differenzierung an Stühlen, Kissen oder ähnlichen Dingen zu ermöglichen. Sie versuchen damit aus dem undurchsichtigen (vegetativ-emotionalen) Hintergrund sich bekämpfender Anteile eine prägnante (kognitiv erfassbare), objektgerichtete und formbare ,Figur’ herauszuarbeiten (vgl. GOODMAN, HEFFERLINE und PERLS, 2007, S. 163 ff). Damit würde man das direkte Sich-in-Situation-begeben mit dem Introjekt fördern und einen realen Kontakt zwischen den gespaltenen Anteilen herstellen. Bezogen auf diffuse psychosomatische Beschwerden würde dies bedeuten, dass die Schmerzen und Verspannungen bewusst und prägnant als Identität von mir mit ihnen durchlebt werden müssen, um die mit ihnen verbundenen existenziellen Ängste, welche durch Zurückweisungen in der Ontogenese auftraten, im Engagement erfahrbar zu machen. Man wird dann zu seinem Schmerz und erfährt ihn dabei nicht nur in der Distanz aus seinem Bewusstsein heraus, welches den Schmerz als Entwurf betrachtet, nicht jedoch als sein eigenes Sein. Der innere Unterdrücker braucht einen eindeutigen Namen, ein eindeutiges Gefühl und ein eindeutiges Ziel im Außen. Erst dann kann er als ein nun bewusster Teil des Subjekts selbst wahrgenommen und reintegriert werden. Und erst dann lassen sowohl die psychische als auch die physische Spannung nach. Zusammenfassend kann man also behaupten, dass der Mensch seine Objektumwelt entsprechend seiner innerseelischen Befindlichkeit gestaltet. Beobachtet man also sorgfältig das Umfeld eines Individuums, kann man aus dessen Gestaltung auch diagnostische Schlüsse bezüglich seiner aktuellen psychischen Situation ziehen und den Objekten dadurch eine innere Stimme verleihen. Der Mensch geht mit anderen Dingen und Lebewesen unbewusst in der Art und Weise um, wie seine Introjekte innerseelisch mit ihm selbst umgehen.
Die bisherigen Schilderungen werfen noch einmal ein anderes Licht auf den Begriff Ich-Stärke oder -Strukturniveau. Bevor ich gleich näher darauf eingehe, sei hier noch kurz darauf hingewiesen, dass Ich-Stärke, existenziell ausgedrückt, die Fähigkeit bedeutet, sich selbst illusionär zum definierten guten Ding zu machen, wahrzunehmen und sich als solches auch zu reflektieren ohne, dass das reflexive Cogito diese Reflexion wiederum reflektiert und die Verdinglichung dadurch sogleich wieder nichtet (SARTRE, 2007). Diese Selbstnichtung und Infragestellung der verdinglichten guten Selbstanteile im Reflektieren des eigenen Seins aus der verinnerlichten Perspektive strenger und verurteilender Bezugspersonen führen unmittelbar zum unbeschreiblichen aber durch diffuse Ängste spürbaren Gewahrwerden der grundlegenden Existenzängste. Gute Introjekte bedeuten demzufolge stabile, überdauernde und scheinbar reale innere und reflektierbare Dinge, als die wir uns wahrnehmen und über die wir unsere Identität definieren. Je stärker man in seiner Ontogenese positiv gespiegelt wurde, desto stabiler, konsistenter und überdauernder erscheint einem das Ich, welches vor Anzweiflung geschützter erscheint. Man sollte vielleicht nicht einfach nur von bösen Introjekten sprechen, sondern von subjektiven Eigenschaften, die aufgrund der aggressiven Ablehnung von der früheren Bezugswelt im Subjekt selbst aggressiv abgelehnt und als gefährlich bekämpft werden. Es wird also nicht nur einfach eine bestimmte entwertete Strebung im Subjekt verinnerlicht, sondern mit ihr auch die entwertende Bezugsperson. Die Selbstreflexion geschieht dann meist aus der Perspektive des entwertenden kritischen Introjekts, was einen dadurch auch sehr empfänglich für kritische Fremdbeurteilungen macht, die die wenigen guten Introjekte zu schnell infrage stellen und nichten können. Wenn also im Folgenden weiterhin von Repräsentanzen wie von definierten realen Objekten gesprochen wird, dann stellen diese Begriffe wiederum verdinglichte Hilfsmittel zur Erläuterung ansonsten zu abstrakter Vorstellungen dar. Entsprechend soll hier nun wieder – verdinglicht gesprochen – auf die Selbstanteile eingegangen werden. Wenn man davon ausgeht, dass die Projektion innerer böser Selbstanteile erst möglich ist, wenn sie durch eine notwendige vorausgehende Trennung vom Objekt bereits isolierbar sind, dann kann hierbei auch von einer differenzierten psychischen Struktur mit relativ klar voneinander getrennten Selbst- und Objektrepräsentanzen ausgegangen werden. Bei vollständiger Projektion gewisser psychischer Inhalte wäre demnach eine Distanzierung von diesen möglich, was wiederum die Voraussetzung für eine Reflexion und Bewusstmachung der projizierten psychischen Inhalte darstellt. Nach außen projiziert können sie nun als etwas wahrgenommen werden, das nicht unmittelbar zu mir gehört, womit sogleich auch eine existenzialistische Betrachtung der projizierten Inhalte als Seinsentwürfe und damit wiederum als eine bewusste alternative Wahl meines Seins ermöglicht wird. Ist die Projektion dagegen nicht möglich und kann man sich der uneindeutigen diffusen bösen Selbstanteile nicht entledigen, kann darauf geschlossen werden, dass das Subjekt noch sehr stark mit dem Bezugsobjekt verschmolzen ist und so keine Grenze zwischen guten und bösen Objekt- und Subjektanteilen ziehen kann, wie es bei den sogenannten frühen Störungen der Fall ist. Im Zustand einer solchen symbiotischen Verschmelzung mit dem Bezugsobjekt ist noch kein Identitätsempfinden ausgeprägt. Die psychische Struktur ist in diesem Fall noch nicht ausreichend differenziert, um böse Anteile klar zu verorten, auf äußere Objekte zu verlagern und dort zu bekämpfen. Stattdessen muss man andauernd unterstützende Introjekte aus der Umwelt als eine Art Hilfs-Ich einverleiben, um das schwache und diffuse Selbst zu stärken. Nur kommt es durch die verschmolzenen und diffusen kritischen Introjekte wieder derart schnell zu einer grundlegenden Infragestellung des Gut-seins, dass kein Hilfs-Ich längere Zeit im Innerseelischen des Subjekts überleben und zu einem beständigen guten psychischen Teil des Subjekts werden kann (mangelnde Objektpermanenz und Objektkonstanz). Dies kann auch die Introjektion rein substanzieller Objekte wie Nahrung oder auch den Rauch von Zigaretten bedeuten. Bei einer entsprechend sicheren Bindung zum Bezugsobjekt ist eine seelische Ablösung von diesem in aufeinanderfolgenden Entwicklungsschritten möglich. Mit dieser klaren und zunehmenden Ausdifferenzierung von Selbst- und Fremdbild ist auch die bereits beschriebene Fähigkeit verknüpft, sich selbst zum Objekt nehmen und damit auch reflektieren zu können. In der Beziehungsgestaltung zu anderen Personen bedeutet dies die Fähigkeit, zunehmend auf Introjektionen und Projektionen gegenüber dem Objekt verzichten zu können. Um es auf den Punkt zu bringen: Diese Überlegung unterstützt die tiefenpsychologische Theorie, wonach das Ausmaß der Objekt- und Subjektdifferenzierung an den Abwehrmechanismen eines Individuums und damit auch an seinen Objektbeziehungen erkennbar ist (vgl. ARBEITSKREIS OPD, 2006, S. 115 ff). Zudem spekuliert HOFFMANN (1996, S. 127 f.) über die Möglichkeit, dass KERNBERGS formulierter Abwehrbegriff ,Spaltung’ ebenfalls ein Indikator für die Ich-Stärke ist. Die Introjektion und die Projektion stellen damit zwei von mehreren Indikatoren für jeweils zeitlich verschiedene psychische Entwicklungsphasen des Menschen dar. Die Introjektion deutet demnach eher auf eine noch gering differenzierte und integrierte Psyche hin, die Projektion dagegen auf ein bereits differenzierteres, klareres und von anderen unterscheidbares Selbstkonzept. Der Übergang von reiner Introjektion zu reiner Projektion ist selbstverständlich fließend. Dies zeigt sich in der qualitativen Vielfalt der Psychopathologien, in welchen Symptome manchmal völlig diffus empfunden, dann wieder differenzierter im und am Körper und letztlich sogar völlig außerhalb der Person verortet werden. Noch kürzer ausgedrückt: Introjektion bedeutet eine geringe Ich-Stärke, Projektion dagegen eine höhere. Was ist nun aber hieran das speziell Existenzialistische? Um ein genügend stabiles und vor Anzweiflungen geschütztes Selbstbild aufzubauen, benötigt der Mensch zunächst stabile und sichere Bezugsobjekte, die eine Subjekt-Objekttrennung überhaupt erst zulassen, ohne dass das Subjekt gravierende existenzielle Ängste vor dem Verlassenwerden verspürt (minimale existenzielle Ängste sind immer da). Es braucht also in den lebensgeschichtlich ersten Entwicklungsphasen ständig die Rückmeldung, eine im Grunde liebenswürdige und angenommene Person zu sein, die einem abgrenzbaren und unvergänglichen guten Ding ähnelt. Erst dann kann sich das Individuum später narzisstisch in seiner Identität selbst als ein solches grandioses und überdauerndes Objekt wahrnehmen und reflektieren. Wieso aber nimmt man sich wie ein Objekt wahr? Der Mensch kennt nur die Welt der dinglichen Objekte, die er nach und nach zu seiner Subjektwelt gestaltet hat. Entsprechend basiert sein ganzes Innerseelisches ursprünglich aus integrierten Objekterfahrungen. Er kann sich selbst nur durch die Projektion seiner Psyche auf äußere Objekte erfassen und wahrnehmen. Und genau hierbei neigt er dazu, unvergängliche und von einem höheren Sinn erfüllte Gegenstände oder Glaubensbekenntnisse für seine Projektionen auszuwählen, die seinem Omnipotenzempfinden gerecht zu werden scheinen. Jedoch tritt damit wieder sofort die unliebsame Erkenntnis auf, dass eben alle äußeren wie inneren Objekte vergänglich sind und letztlich dem Tod und dem Vergehen des Seins anheimfallen. Wie sehr jedoch diese existenzielle Erkenntnis an das Bewusstsein eines Menschen herantritt, hängt von seiner Ich-Stärke ab. Die oben beschriebene Ich-Stärke lässt sich besonders anhand einer Aufreihung psychischer Zustände zwischen den zwei Polen Neurose und Psychose verdeutlichen. Kann bei guter Differenzierung noch ein gewissermaßen stabilisierender und den Selbstwert erhaltender innerer Dialog mit abgegrenzten bösen Anteilen geführt werden, so bleibt es bei einer Überspitzung und Überhöhung guter Anteile bei gleichzeitiger Projektion unerwünschter Anteile. In diesem Fall spricht man von einer neurotischen Struktur. Ist dagegen der innere stabilisierende Dialog wegen der zu starken Verschmelzung der sich widersprechenden Anteile (Selbst- und Objektrepräsentanzen) kaum mehr möglich und lauert der innere Feind sozusagen hinter jeder Ecke, ohne auf die Umwelt projiziert werden zu können, dann geht die neurotische Struktur in eine depressive über. Schließlich kann die Verschmelzung der sich widersprechenden Selbstanteile derart stark sein, dass das gute Selbst von den überall in sich lauernden bösen Selbstanteilen regelrecht überschwemmt und erdrückt wird und es diese Repräsentanzen nicht ins Außen zu projizieren vermag. Dabei empfindet man sich grundlegend innerlich infrage gestellt und von der Welt der anderen irgendwie abgetrennt (schizoid). Ohne die Möglichkeit, den inneren Feind im Außen zu bekämpfen, bietet sich dem Individuum folglich kein anderer Schutz vor den destruktiven Anteilen als die radikale Flucht in die Psychose, der fantasierten narzisstischen Selbstaufrichtung. Wenn das positive Selbstbild durch die gesamte böse verinnerlichte Objektwelt, mit der man noch frühkindlich verschmolzen ist, empfundenermaßen infrage gestellt wird, treten diese als negativ bewerteten und existenziell bedrohlich empfundenen Selbstfragmente, die einst realer Bestandteil lebensgeschichtlicher Objektbeziehungen waren, durch außerhalb des Subjekts verortete Stimmen und ähnliche Wahnsymptome als Paranoia auf. Dieser Vorgang stellt sozusagen den letzten Versuch dar, diese innerseelischen diffusen Selbstanteile wegen ihrer massiven existenziellen Bedrohlichkeit und Unberechenbarkeit als scheinbar reale Feinde in die Objektwelt zu projizieren. Dabei haben die psychotischen Wahnideen oft erwünschte und zugleich befürchtete Vorstellungen von Objekten und vom Subjekt selbst zum Inhalt. Diese enorme innere Zerrissenheit wird so in einer scheinbar realen Außenwelt bekämpft, wobei natürlich die äußere Realität hierbei von der inneren bedrohlichen Realität stark verzerrt und in Gut und Böse gespalten wird. So kann man sich beispielsweise als eine besonders grandiose Person empfinden, die von vermeintlich destruktiven Objekten verfolgt wird. Das scheinbar in böser Absicht verfolgte Subjekt kann sich so einseitig als unangefochten grandios, gut und omnipotent empfinden. Die Objektwelt dagegen wird zum bösen und minderwertigen Verfolger degradiert. Es ist in jedem Fall der Versuch, sich von den überschwemmenden, negativen und erniedrigenden Selbst- und Objektrepräsentanzen zu distanzieren, um wenigstens ein minimal gut empfundenes Ich zu bewahren. Gelingt das nicht ausreichend, kommt es letztlich zu einem ausgeprägten Minderwertigkeitsempfinden. Und interessanterweise greift der Mensch gerade in diesem letzten kritischen Zustand, noch vor dem Suizid als endgültige Vernichtung bedrohlicher Selbstfragmente, offenbar auf Fantasien der Verschmelzung mit zeitlich unbegrenzten und unzerstörbaren Dingen zurück, die den Selbstwert wieder erhöhen sollen (vgl. MENTZOS, S. 56 f.). Die Beziehungsaufnahme und -gestaltung zu den unbelebten Dingen soll die fehlende oder für die Selbstwertstabilisierung unzureichende Bezogenheit der belebten Objekte der Umwelt auf das Subjekt stellvertretend für diese ersetzen. Dabei werden den Dingen, mit denen man sich umgibt und letztlich sogar identifiziert, Attribute zugeschrieben, die einem normalerweise durch die frühen Bezugspersonen vermittelt werden. Es geht dabei immer um das Empfinden von Unbegrenztheit, Allmacht, Besonderheit und eigener Größe durch die bewundernde Bezugnahme der anderen auf das Subjekt. Dieses beschriebene Zurückgreifen auf ein unvergängliches und transzendentes Fremd- und Selbstverdinglichen (vgl. SARTRE, 2006, S. 986 ff) drückt die existenzielle Dimension solch tiefgreifender Psychopathologien aus. Das Selbst soll den Charakter eines unvergänglichen und über existenzielle Anzweiflung erhabenen Gegenstandes haben. HEIDEGGER (HEINZ, 2001, S. 171 ff; HÜGLI/HAN, 2001, S. 145 f.; MERKER, 2001, S. 119 f.) nannte dieses Dasein ein angestrebtes Ganzsein, welches sich durch die Fähigkeit des Vorwegnehmens aller Möglichkeiten im Leben bis zum Tod als etwas Ganzes zu empfinden vermag. Erst der Tod beende unsere Fähigkeit, unter weiteren Möglichkeiten in unserem Leben zu wählen. Man kann dann, so HEIDEGGER, seine Existenz nicht mehr verwirklichen und habe sie gerade dadurch zu etwas Ganzem verwirklicht. Es geht letztlich immer um den Versuch des Selbsterhalts über die Begrenztheit der eigenen Existenz hinaus. Doch ist eben auch jedes noch so langlebige Ding, Element oder Theoriegebäude irgendwann einmal zum Vergehen verurteilt. Bei den Bewältigungsstrategien unterschiedlichster Psychopathologien geht es letztendlich grundlegend immer um den Versuch, in sich ein stabiles, fest definiertes und existenziell beständiges Selbst als Entwurf aufzurichten. Zur Untermauerung der Richtigkeit und unumstößlichen Wahrheit seines scheinbar transzendenten und damit überdauernden und übergeordneten Entwurfs bezieht man sich nicht selten auf historische Quellen seiner entworfenen Sichtweisen, die dann als umso wahrer empfunden werden, je länger es sie bereits historisch zu geben scheint. NIETZSCHE (2006, S. 489) bezeichnete diesen Irrtum wie folgt: „Am Anfang war. – Die Entstehung verherrlichen – das ist der metaphysische Nachtrieb, welcher bei der Betrachtung der Historie wieder ausschlägt und durchaus meinen macht, am Anfang aller Dinge stehe das Wertvollste und Wesentlichste.“ So kann man beispielsweise auch akademischen Titeln und anderweitigen gesellschaftlichen Anerkennungen nacheifern, um sich selbst glauben zu machen, mehr Anspruch auf die Wahrheit zu haben als andere, und um sich von der Masse der Menschen in seinem Entwurf als etwas Besonderes spiegeln und sein machen zu lassen. Letztendlich bleibt aber immer der leise Zweifel an der Einzigartigkeit und Besonderheit des eigenen Seins, und man ahnt, dass man selbst ,nur’ Seinsentwurf ist und immer bleiben wird. Fakt ist, dass Selbsterkenntnis und Erkenntnis der Welt immer subjektiv im immanenten Bewusstsein des Menschen bleiben werden. All das, was er von der Welt und sich selbst weiß, entstammt seinem Bewusstsein (den aus Informationen produzierten Konstruktionen). Er kann vielleicht immer wieder andere Begriffe für seine Erkenntnisse wählen. Im Grunde aber umkreist er mit seinen Blicken ständig eine nicht erkennbare einzige Wahrheit, die nicht erfahren werden kann, da man sonst transzendent sein müsste. So kommt es auch, dass viele theoretische Ideen über viele Jahrhunderte hinweg immer wieder in einer anderen Gestalt in das Bewusstsein der Menschen treten und sich doch nicht grundlegend voneinander unterscheiden. So erkannten beispielsweise schon der Mahayana-Buddhismus und der heutige Zen-Buddhismus – eine Wiederbelebung und Verbindung des Urbuddhismus mit dem Taoismus – die menschliche Eigenschaft des Verlangens nach Verdinglichung rein psychischer Inhalte. Diese Inhalte sollen in der Außenwelt wie reale Gegenstände behandelt werden, die ewig existent sein und bleiben sollen, damit sich der Mensch selbst als ein bestimmtes Seiendes erfahren kann (vgl. WATTS, 2008). Diese Tatsache machen sich auch die projektiven psychologischen Testverfahren zunutze, welche Ergänzungen zur therapeutischen Beziehungsdiagnostik darstellen. Dabei wird beobachtet, wie eine Person zu bestimmten zur Verfügung stehenden Objekten (Rollen einer Geschichte, Bilder, Figuren, Tiere) in Beziehung tritt, um somit einen Rückschluss auf die innerpsychische Beziehungsgestaltung zwischen den Introjekten zu erhalten. Was aber bedeutet die Feststellung für ein mögliches psychotherapeutisches Vorgehen, dass wir naturgemäß unser Seelisches derart in der Objektwelt zu verdinglichen versuchen?
Psychotherapeutisch gelingt diese Aufrichtung eines stabilen und scheinbar dinghaften guten Selbst in erster Linie durch die Akzeptanz der bereits vorhandenen Selbstanteile, auch wenn diese zum Teil negativ bewertet sind. Nur dadurch kann die innere Abwertung – der innere Krieg zwischen den guten und den bösen Selbstrepräsentanzen – geschlichtet werden. Selbstakzeptanz heißt, sich mit allen seinen Seinsanteilen anzunehmen, auszusöhnen und als geliebt zu empfinden. Man muss von einem grundlegenden Gut-sein seiner selbst und seines Gegenübers überzeugt sein, auch wenn man immer wieder von Selbstzweifeln oder Zweifeln am anderen heimgesucht wird. In dieser inneren Aussöhnung wird der innere Feind zum Freund und steht Seite an Seite mit diesem. Die Konsequenz für das alltägliche Leben im Umgang mit anderen Menschen liegt klar auf der Hand: Wenn man sich selbst annimmt und auch in seinen inneren Widersprüchen akzeptiert, können einen Kritiken durch andere Menschen nicht mehr derart existenziell und vernichtend treffen und kränken. Man kann die kritisierten Selbstanteile dann liebevoll wie ein Kind umarmen, ihnen, und damit sich selbst, verzeihen und sich vornehmen, in Zukunft besser auf sie zu achten. Existenzphilosophisch gesehen kann man sich in seinen sich widersprechenden und auch ungeliebten Seinsanteilen als eine Vielzahl gleichberechtigt nebeneinander stehender Seinsentwürfe betrachten, deren Existenzberechtigung nicht a priori durch eine höhere transzendente Moral einer Essenz definiert ist. Nur man selber kann sich in dieser Widersprüchlichkeit wie ein liebevolles Elternteil gegenüber seinem inneren Kind anerkennen und sich dadurch die Existenzberechtigung geben. Kann man es hingegen nicht, da die inneren unbewussten Introjekte den guten Seinsentwurf zu sehr infrage stellen und man so keinen inneren Abstand zu diesen gewinnen kann, braucht es eine überblickende und helfende Instanz, die es einem stellvertretend für die früheren Bezugspersonen ermöglicht, seine widersprüchlichen Entwurfanteile anzunehmen und zu integrieren. Diese therapeutische Instanz mit ihrer existenzphilosophischen und tiefenpsychologischen Weitsicht, dass alle guten und vermeintlich bösen Seinsentwürfe sein dürfen, keiner höheren Moral unterworfen sind und dem Schutz eines oft als unzureichend gut empfundenen grundlegenden Gut-seins dienen, hilft dem von falscher und zwängender Moral geplagten Individuum, seine ungeliebten aber mit Recht auf Existenz versehenen Anteile als Schutzfunktionen vor den einstigen Angriffen und Infragestellungen durch die frühere soziale Bezugswelt zu erfahren, zu erkennen und zu begreifen. Damit werden die Anteile und Schutzfunktionen als wählbare und wechselbare Entwürfe begriffen und annehmbar. Nur so kann man sich sowohl psychisch als auch physisch von ihnen distanzieren. Der Therapeut wird mit dieser wertschätzenden Haltung in einer sich selbst und den anderen annehmenden Nachreifungsbeziehung mit viel innerer Ruhe und Vertrauen in ein grundlegendes Gut-sein von ihm selbst und seinem Gegenüber sowie seinem Wissen, dass alles charakterlich Störende und vermeintlich Böse an ihm und dem anderen nur dem Schutz dieses als unzureichend gut empfundenen Gut-seins dienen, als neues elterliches Introjekt verinnerlicht und den bereits bestehenden rigiden Introjekten stabilisierend und korrigierend zur Seite gestellt. Man weiß dann, dass man viel mehr ist als die gerade kritisierten Selbstanteile und hat damit viel mehr Selbstanteile zur Selbstwertstabilisierung zur Verfügung, wodurch man selbstbewusster wird. Man wird dann bei Kritik nicht sofort im Kern getroffen. Es kommt auch auf die Erfahrung an, dass die unterdrückten Anteile keineswegs derart bedrohlich für die aktuelle Umwelt sind, wie man es in früherer Zeit der Ontogenese empfunden hat. Im Gewahrsein dieses unschädlichen, friedlichen und grundlegenden Gut-seins können die quälende Moral und Selbstunterdrückung erstmalig aufgeweicht werden. In der frühen Ontogenese drohten durch die einst bösen und inzwischen unterdrückten Selbstanteile der reale Beziehungsverlust sowie der Verlust der Existenz. Diese Erfahrung kann jetzt durch eine wesentlich gefahrlosere ersetzt werden. Selbstbewusstsein heißt hiernach nichts anderes, als sich als ein gutes, annehmbares und dingliches Selbst wahrzunehmen, welches als vor Anzweiflung und Kritik, die gewöhnlich als existenziell bedrohlich erlebt werden, geschützt empfunden wird. Wohlwollende Selbst- und Fremdakzeptanz bilden somit die Basis einer jeden psychotherapeutischen Behandlung, auch wenn sie nicht jedem Therapeuten in seinem Handeln derart bewusst sind. Und Selbstannahme wiederum kann nicht ohne eine heilsame, authentische und die früheren Objekterfahrungen korrigierende Beziehung zwischen Therapeut und Klient gelingen (vgl. MENTZOS, 2005, S. 267 ff). Als seelisch helfende Person muss man jedoch zunächst in dem gestörten Beziehungsmuster mit dem Klient mitschwingen, um dieses individuelle Muster überhaupt erst einmal an sich und seinen Reaktionen hierauf spüren zu können (vgl. KERNBERG, 1998, S. 78 ff). Zudem kann der Klient nur eine korrigierende Beziehungserfahrung machen, wenn er sein gestörtes Muster auf den Therapeuten zeitweilig überträgt, also eine ,Form’ für seine projizierten Anteile zur Verfügung hat. Schwingt der Therapeut nicht wenigstens kurzzeitig in diesem schwierigen Muster mit, wäre er weder authentisch, noch könnte er den Klienten emotional nachempfinden, ihn existenziell reizen und in Beziehung mit sich bringen. Erst dann ist anhand eigener ausgeprägter emotionaler Gegenübertragungen und deren Reflexion ein Aussteigen aus dem vom Gegenüber inszenierten Muster möglich. Wie steigt man aber nun aus dem Muster aus? Hierzu benötigt man auf intellektueller Ebene ein wie oben beschriebenes Erklärungsmodell, um beobachtbares Erleben an sich selbst und an seinem Gegenüber verstehbar zu machen und dadurch kognitiv einen Abstand von den natürlichen und reflexartigen emotionalen Reaktionen auf solche Muster erlangen zu können. Aber ein kognitives Konzept mit Hypothesen, Theorien und Paradigmen dient keinesfalls nur dem Erreichen eines inneren Abstandes des Therapeuten zu einer zu tiefen und reaktiven emotionalen und damit schädlichen Beziehung zum Klienten. Es dient auf geisteswissenschaftlicher Ebene auch als wissenschaftliches Grundgerüst und Grundwerkzeug, um sein Gegenüber in kausalen Zusammenhängen und beeinflussbaren Variablen verstehen, begreifen und von Innen her verändern zu können, damit eben auch dieses einen Abstand zu seinen übermäßigen Emotionen gewinnen und einen Perspektivenwechsel von sicherem Boden der kognitiven Ebene aus vollziehen kann. Um die bisher beschriebenen Überlegungen noch einmal kurz prägnant zu fassen: Man kann aufgrund der im aktuellen Beziehungskontext mit dem Klient wahrnehmbaren eigenen Gefühle, Handlungen und Gedanken auf dessen frühere Beziehungserfahrung zu wichtigen Bezugspersonen der Kindheit und Pubertät schließen. Die helfende Person empfindet und erlebt sich sehr wahrscheinlich einmal in der Weise, wie die betreffende Person sich einst selbst anhaltend gegenüber ihren pflegenden Bezugsobjekten empfand und es auch heute noch immer in ihrer Umwelt tut. In diesem Fall der wahrgenommenen Verbote wird sich der Therapeut eher als entwertet, klein und minderwertig empfinden. Im anderen Fall wird sich der Therapeut durch subtile Provokationen und Manipulationen eher in den Rollen der früheren Bezugspersonen des Klienten wiederfinden (vgl. MENTZOS, 2005, S. 270). Dann wird er die Gebote vertreten und sich womöglich als ein aggressiver, dominanter und überlegener Unterdrücker wahrnehmen oder auch als eine distanzgeminderte und fast verschlingende ,Glucke’, um hier nur zwei von sehr vielen denkbaren Gegenübertragungen zu nennen. Die naturgemäße Introjektion der Bezugspersonen führte schließlich dazu, dass diese nun mit ihren Ge- und Verboten ein wesentlicher Teil der Identität der Person in Form von Objekt- und dann Selbstrepräsentanzen wurden. Damit wurden wiederum bestimmte widersprüchliche Charakter- und Beziehungseigenschaften der Bezugspersonen unbewusst aufgenommen und regelrecht kopiert. Überprüft man also kognitiv seine Gegenübertragungen, kann man davon ausgehen, dass der Klient ähnliche Konflikte und Beziehungen bereits früher in dieser Art erlebte und sie auch heute wieder am Therapeuten reinszeniert und wiederbelebt. Der Klient zeigt sich also einerseits in seiner bedrohten und in seinem Gut-sein infrage gestellten wehrlosen Haltung und andererseits in seiner massiven Abwehr gegen diese narzisstisch kränkende Infragestellung durch die Umwelt, indem er die zuvor durch die Bezugspersonen auf ihn selbst gerichteten ,Waffen’ nun umkehrt und gegen die Umwelt richtet. So kann sich beispielsweise ein männlicher Klient in seiner männlichen Rolle durch von seinen früheren und aktuellen Bezugspersonen ausgehenden Aggressionen ihm gegenüber als überwiegend minderwertig, unterdrückt und bedroht empfinden. In seiner Angst vor konkreter Aggression durch andere Personen hat er auch in sich selbst aggressive Strebungen gebremst, gehemmt und autoaggressiv unterdrückt, was zu einem anhaltenden Minderwertigkeitsempfinden und einer ausgeprägten Opferrolle führte. Gelingt es ihm dagegen seine aggressiven und selbstwirksamen Strebungen mit Hilfe einer unterstützenden Person gegenüber einer vermeintlich schwächeren ansatzweise gegen das Objekt gerichtet auszudrücken, empfindet er sich als männlich überlegen und grandios (Täterrolle), da sein ihn ständig bedrohender minderwertiger Anteil nun von ihm weg und am vermeintlich schwächeren Gegenüber verortet ist. Damit wird der Klient nach außen selbst zum Täter und macht den Therapeuten zu seinem Opfer. Dabei nimmt der Klient die unterdrückende Rolle seines früher unterdrückenden Bezugsobjektes an und verschiebt seine als minderwertig und wehrlos empfundene Kindrolle zum Therapeuten. Die vom Therapeuten empfundene Entwertung (Opferrolle), die eigentlich das wiederkehrende Grundgefühl des Klienten gegenüber seinen früheren und aktuellen Bezugspersonen darstellt, verändert sich jedoch bei anhaltender provozierender Manipulation zunehmend in für den Klienten bedrohliche aggressive Gegenimpulse des Therapeuten gegenüber dem Klient in Form einer sogenannten Komplementären Reaktion als Gegenübertragung (vgl. KERNBERG, 1998, S. 71 f.). Dabei gerät einerseits der Therapeut allmählich in die Täterrolle der früheren Bezugsperson des Klienten. Andererseits fällt der Klient selbst dadurch wieder in seine altbekannte Opferrolle zurück. Damit findet im Therapeuten ein Wechsel von der entwerteten, unterdrückten und minderwertigen Rolle des Klienten in die idealisierte, aggressive und grandiose Rolle der früheren Bezugsperson statt. Beide Rollen trug die frühere Bezugsperson des Klienten selber in sich. Einmal als das ,innere wehrlose Kind’ und einmal als der sich massiv zur Wehr setzende Krieger. Folglich bilden diese ambivalenten und sich widersprechenden Rollen auch eine wesentliche Qualität des heutigen Charakters des Klienten. Der Therapeut muss also sowohl die Opferrolle als auch die Täterrolle sowie den Wechsel zwischen beiden durch starke in ihm auftretende Emotionen wahrnehmen und sie dadurch als solche identifizieren. Erst dann kann er sich auch selber von diesen provozierten Rollenidentifizierungen innerlich distanzieren und so die vom Klienten erwarteten heftigen emotionalen Gegenimpulse (autoaggressive Minderwertigkeit versus aggressive Grandiosität) unterbrechen. In diesem für den Klienten unerwarteten Ausbleiben der heftigen emotionalen Reaktionen des Therapeuten auf die vom Klienten ausgehenden Manipulationen kann er lernen, dass ihn sein Gegenüber in seiner Spaltung zwischen einseitig minderwertigen und andererseits grandiosen Anteilen aushält und er keine erneute existenzielle Bedrohung für ihn darstellt. Damit kann sich der Klient ein stabiles und ihn in seiner enormen Ambivalenz aushaltendes Hilfs-Ich (Therapeut) introjizierend zur Seite stellen und sich selbst in seinen abgespaltenen und vermeintlich widersprüchlichen Anteilen aushalten und annehmen, was wiederum das innere Empfinden stärkt, in einer stabilen und ausgeglichenen ,Mitte’ grundlegend gut, liebenswert und annehmbar zu sein (statt gefährlich, ungeliebt und minderwertig). Der Klient verlagert für gewöhnlich seine bösen und guten Selbstrepräsentanzen auf Personen (oder auch Dinge) seiner Umwelt, bekämpft sie dort beziehungsweise idealisiert sie und reintrojiziert sie dann wieder, wobei das gute Selbst nun als der eindeutige Sieger über das böse Selbst hervorgeht. Als Gegenüber wird man also wechselnd in den Rollen des Idealisierten angehimmelt oder des Entwerteten bekämpft. Beides tut der Klient unbewusst sonst auch innerseelisch mit sich selbst. Der Therapeut muss also durch seine eigenen reflektierten Empfindungen sowohl gegenüber dem Klient als auch sich selbst die guten und bösen Selbst- und Objektrepräsentanzen des Gegenübers wahrnehmen, sie als solche erkennen, herausarbeiten und aushalten (vgl. TEISING, 2005; KERNBERG, 1998, S. 79 ff, 95 ff). Im Herausarbeiten liegt die Möglichkeit, zuvor unbewusste Introjekte verdinglicht zu erfahren sowie zu begreifen und dadurch einen inneren Abstand zu diesen als Seinsentwürfe zu erlangen. Schwingt der Therapeut unreflektiert im alten dysfunktionalen Muster mit, retraumatisiert er sein Gegenüber, da die innere Weltsicht des Betroffenen wieder bestätigt und damit verfestigt wird. Der Klient will und muss seine Umwelt weiterhin nach seinen alten Erfahrungen gestalten, um sein gewohntes Abwehrmuster, welches sein als infrage gestellt empfundenes Gut-sein schützen soll, weiterhin in gewohnter Weise praktizieren zu können, obwohl es jetzt vielleicht gar nicht real bedroht und von anderen als dysfunktional erlebt wird. Dies ist nun einmal die einzige bisherige selbstschützende Beziehungserfahrung mit den ersten Bezugsobjekten und der gesamten Objektwelt. Damit zielt der Klient unbewusst auf die Reinszenierung der früheren gestörten Beziehungen mit existenziellen Impulsen wie Vernichtungs-, Zurückweisungs-, Verschmelzungs- oder Anziehungswünschen zwischen sich und seinem Therapeuten sowie anderen aktuellen Bezugspersonen ab. Diesen Impulsen muss der Therapeut jedoch reflektiert, stabil und abgegrenzt widerstehen, auch wenn dabei unweigerlich eigene tief verwurzelte Existenzängste angerührt werden (vgl. KERNBERG, 1998, S. 70 ff). Im Prinzip ringt so jeder Klient um sein Angenommensein durch seine Umwelt, wobei er sich gegen jede Form von vermeintlicher Versagung und Angriff reflexartig wehrt. Dieses zunächst empathische Berührenlassen von eigenen Ängsten und Sehnsüchten des Therapeuten durch die Dynamik des Gegenübers bildet aber auch gleichzeitig die notwendige gemeinsame Basis, um den Klient auf mehreren Ebenen verstehen, nachempfinden und ihm authentisch beistehen zu können. Erst dann kann das Gegenüber am Vorbild der neuen, stabilen und aushaltenden Bezugsperson seine widersprüchlichen und sich innerpsychisch bekämpfenden Selbstanteile aushalten und sogar als zu sich selbst gehörend annehmen. Der Therapeut hält die zum Teil massiven und sonst unterdrückten Attacken aus und bleibt dabei stabil in der Beziehung, ohne seiner in ihm entstehenden heftigen emotionalen Gegenwehr freien Lauf zu lassen. So werden aus vermeintlich die Beziehung bedrohenden Anteilen ungefährliche annehmbare Selbstrepräsentanzen. Die elterlichen Introjekte werden dabei sozusagen mit den natürlichen kindlichen Bedürfnissen psychisch miteinander versöhnt und zu einer Einheit verschmolzen. Wenn der Klient verständnisvoll erfährt, dass sein Therapeut ihn sowohl in seinen kindlichen Allmachtsbedürfnissen als auch in seinen verinnerlichten elterlichen Sanktionierungen dieser Bedürfnisse aushält und annimmt, kann er sich auch selber mit diesem neuen vorbildhaften introjizierten Therapeuten aushalten und annehmen. Der annehmende Therapeut wird so zu einer verinnerlichten Stimme des Ichs des Klienten. Aushalten bedeutet aber auch, dass man ein viele Jahre eingespurtes Beziehungsmuster langsam aber stetig unterbricht und dabei in neue Bahnen lenkt, die freilich noch wenig berechenbar für das betroffene Gegenüber sind und folglich ausgeprägte Existenzängste auslösen. Die Welt außerhalb des bisherigen Musters, sei es auch noch so schädlich für den Klienten, ist einfach nicht vorhersagbar und daher unbekannt und zutiefst verunsichernd. Schließlich sind für uns Menschen instabile und schädliche Beziehungen immer noch besser als die Furcht vor einer gänzlichen Beziehungslosigkeit (existenzielle Leere). Als Therapeut muss daher in einer Beziehung ein stabiler und vertrauensvoller Rahmen aus dem gestörten Muster heraus angeboten werden, der verständlicherweise gleichzeitig auch als eine Bedrohung bisheriger Sicherheiten vom Klient erlebt und bekämpft wird. Im Halten des Rahmens und gleichzeitigen Hinterfragen alter Muster wird das Gegenüber natürlich alles daran tun, die Veränderung sowie die Zurücknahme vermeintlich böser Selbstanteile zu sich selbst zu verhindern. Durch die massive Verstärkung des pathologischen Beziehungsmusters zur Identitätswahrung soll das Spüren der Existenzängste wie Vereinzelung, Begrenztheit und Eigenverantwortung unterbunden werden. Solche Widerstände muss man in einem festen und abgegrenzten Beziehungsrahmen aushalten, auch wenn sie hierfür die ganze Person des Therapeuten als Behandlungsinstrument bedürfen (POLSTER, 2009). Letztendlich geht es um das Schaffen eines Gleichgewichts zwischen einerseits dem Mut neue Beziehungswege auszuprobieren, um damit alte loszulassen sowie Unsicherheiten zuzulassen, und andererseits um das Halten eines strukturierenden, vertrauensvollen und berechenbaren Rahmens. Erst dann können neue und korrigierende Wege eingeschlagen werden, die nicht wieder in die früheren Ängste vor Ablehnung und Versagung münden, sondern dem Gegenüber aufzeigen, dass es trotz verurteilter Selbstanteile von seiner Umwelt angenommen und wertgeschätzt wird. Das angenommene gute Selbst wird dadurch sinnbildlich größer, stabiler und bekommt mehr Möglichkeiten, sich den Umweltanforderungen kreativ anzupassen und so sein Überleben zu gewährleisten. Mit anderen Worten: Erst in dieser Akzeptanz seiner gesamten Persönlichkeit kann sich im Menschen eine größere innere Zufriedenheit mit sich selbst einstellen. Jede Beziehungsaufnahme baut auf der grundgelegten Beziehungsdynamik zu den primären Bezugsobjekten der Ontogenese auf und zielt letztlich, wenn auch manchmal auf Umwegen, auf die Herstellung einer positiven Spiegelung ab. Der psychoanalytische Begriff der Libido bedeutet in diesem Zusammenhang auch nichts anderes als das Suchen und Streben eines Individuums nach Beziehungen zu Objekten, die das Subjekt in seinem Gut-sein – in seinem Streben, Gott sein zu wollen – bestätigen sollen (vgl. SARTRE, 2006, S. 461 ff, 638 ff). Dieses Gefühl absoluter Seinsbestätigung und absoluten Gut-seins muss der Säugling als einen zutiefst beruhigten und entspannten Zustand im primären Narzissmus unmittelbar nach seiner Geburt empfunden haben. Leben bedeutet also gegenseitige Bezugnahme aufeinander – also Beziehung. Und Beziehung bedeutet sowohl Beziehung zu anderen als auch zu sich selbst, da man seit seiner Geburt auch ein zunehmendes Bewusstsein von sich selbst erhält, welches ausschließlich aus den verinnerlichten Blicken der wichtigsten Bezugspersonen auf einen selbst herrührt. Dieses Bewusstsein, das ich von mir habe, sieht mich selbst also als ein bestimmtes Sein, wie es sich von Anfang an seit meiner Geburt für andere darstellte, ein sogenanntes Für-Andere-sein. Beziehung zielt also – existenzphilosophisch ausgedrückt – stets darauf ab, den Menschen aus seinem reduzierten Sein als ein bloßes Objekt einer freien und willkürlichen Bewertung durch andere herauszulösen. Der Mensch kann in seiner ontologischen Notwendigkeit nur durch die Existenz der Anderen seiner Umwelt und deren Bezogenheit auf ihn (durch ihre Blicke) zu etwas Besonderem – An-sich – gemacht werden. Er will aber nicht nur vergängliches und reduziertes Werkzeug oder beliebig auswechselbares und Sein ermangelndes Objekt sein, sondern positiv gespiegelt und angenommen werden, um sich als faktisch seiend und als sein eigener Seinsgrund zu empfinden. Erfährt er sich also durch positive Spiegelung in einer befriedigenden Beziehung in seinem Für-Andere-sein zeitweise als die unbegrenzte freie Transzendenz, kann er sich vorübergehend auch positiv gegenüber sich selbst empfinden und sich somit als einzigartig, grandios und liebenswert gut – als Gott – erleben. Die Psychotherapie zielt im Grunde genau darauf ab, diesen Zustand des grundlegenden Gut-seins (Gottentsprechung) auch zeitweise ohne ständige libidinöse Bestätigung und narzisstische Zufuhr im Menschen aufrecht zu erhalten. Hierzu versucht sie ihm seine unbewussten und zur Verteidigung seines als mangelhaft empfundenen Gut-seins fixierten Seinsentwürfe bewusst und dadurch physisch und psychisch integrationsfähig zu machen. Es geht darum, den Menschen in seinem Selbstverständnis aus seiner ständig empfundenen wiederkehrenden Reduktion als bestimmtes, Sinn entleertes und beschränktes Ding, welches er im Blick des anderen darzustellen droht, zunehmend durch Selbstliebe und Selbstannahme loszulösen.

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