Sonntag, 19. Dezember 2010

Der pädagogisch-therapeutische Alltag als Bühne innerer psychischer Konflikte

Andreas Mensch
Es gibt wenige pädagogische und therapeutische Bereiche, die so intensiv sind, wie die der stationären sozialtherapeutischen Jugendhilfe. In meiner beruflichen Tätigkeit mit schwer erziehbaren Kindern und Jugendlichen wurde mir zunehmend klarer, auf welche pädagogisch-therapeutischen Qualitäten es in diesem Kontext wirklich ankommt. Ich werde im Folgenden die Begriffe Pädagogik und Therapie immer als ein einheitliches Wort gebrauchen, da in der Arbeit mit dieser Klientel meines Erachtens keine Trennung zwischen pädagogischer und therapeutischer Arbeit vollzogen werden kann und darf. In meiner Arbeit mit schwer erziehbaren Kindern und Jugendlichen, die durch mehrfache soziale sowie psychische Auffälligkeiten gekennzeichnet sind, habe ich innerhalb des sozialtherapeutischen Konzepts viele verschiedene pädagogisch-therapeutische Herangehensweisen kennen gelernt. In einem multiprofessionellen Team bieten verschiedene Personen ganz spezifische pädagogisch-therapeutische Angebote an. Zu erwähnen sind unter anderem die Kreativ- und Arbeitstherapie, die Kunsttherapie, eine regelmäßige und individuell auf das Leistungsniveau der Schüler zugeschnittene Beschulung, Gartenprojekte, Sportangebote, Einzelpsychotherapie sowie ein Soziales Kompetenztraining. Im Laufe der Zeit hat sich jedoch eine Komponente als die stabilste und wirksamste herausgestellt. Die Rede ist hierbei von einer transparenten und hohen Struktur im Tagesablauf, die von einem starken und einheitlichen Team in Form einer stabilen Beziehungsgestaltung zu den Kindern und Jugendlichen getragen und gehalten werden muss. In diesem Halt gebenden engen Rahmen können Verhaltenskorrekturen sowie Verhaltensalternativen zum bisherigen dysfunktionalen Handeln geprobt und vollzogen werden (vgl. YALOM, 2005 b, S. 35). Natürlich bedeutet dieser Rahmen auch autoritäres Sanktionieren sozial gefährdenden Verhaltens. Gleichwohl gibt er aber auch Stabilität und Halt, sodass ein Kind bei mangelnder äußerer wie innerer Konsistenz wie in einer Art Korsett gehalten wird und weder sozial, noch physisch und seelisch aus dem Rahmen fallen kann. In der Sozialtherapie geht es genau darum, das zunächst äußere soziale Korsett zunehmend durch ein verinnerlichtes Korsett zu ersetzen. Das braucht allerdings Zeit und viel Geduld. Die hierzu anfängliche klare Autorität gewährleistet zwangsweise einen Schutz der Kinder und Jugendlichen vor ihren eigenen Schwankungen und damit vor den zukünftig sehr wahrscheinlichen Konflikten mit der Gesellschaft, von der sie sich sonst immer mehr ausgrenzen würden. Man schützt die Klientel hierdurch also längerfristig vor sozialer Isolation, die immer am Ende einer Laufbahn wie der gescheiterten Jugendhilfe, dem Strafvollzug oder der kriminellen Karriere steht. Bewusst und reflektiert eingesetzte Autorität, die auch Konfrontationen mit beziehungsgefährdendem Verhalten beinhaltet, bedeutet keinesfalls einen Machtmissbrauch. Sie ist vielmehr der tragende und schützende Rahmen, in dem Sanktionen, Korrekturen und eine stabile zwischenmenschliche Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen stets nebeneinander stehen können und müssen. Bewusste Autorität und klare Grenzen sind ein spürbares Zeichen eines Interesses am Jugendlichen und holen ihn aus seinem regressiven Befriedigen am Konsum von Ersatzobjekten (Computerspiele, Süßigkeiten, Alkohol, Zigaretten, Sex…) zurück in die wertschätzende, vertrauensvolle und sichere Beziehung mit zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen, in welchen Triebimpulse begrenzt ausagiert und zugleich sanktioniert in sozial verträgliche Bahnen gelenkt werden können. Dieses wertschätzende und die Beziehung aufrecht erhaltende autoritäre Sanktionieren führt letztlich dazu, dass sich ein Jugendlicher trotz Eingrenzung seines triebimpulsiven und nach unbegrenztem Narzissmus (natürliche omnipotente Allmachtsfantasien) strebenden Verhaltens dennoch als annehmbar und liebenswert anerkennt. Autorität als wertschätzendes, berechenbares und klar handelndes Vorbild, welches nach außen Vertrauen in sich und andere ausstrahlt, verlangt also vom behandelnden Personal die Fähigkeit zur Selbstreflexion aber vor allem auch eine innere Stabilität sowie Führsorge und einen guten Kontakt mit sich selbst, um sich einerseits als ein reales Gegenüber in einer Beziehung zur Verfügung stellen und andererseits klare Sanktionen und Verhaltenskorrekturen umsetzen zu können, ohne sich dabei als schuldige Täter zu empfinden. Dass dies nicht gelingen kann, wenn der Behandelnde sich selbst keine Schwächen eingestehen kann – wobei er sich innerseelisch schwächt – und er so womöglich seine Autorität zu missbrauchen droht, liegt auf der Hand. Er kommt nicht umhin, seine ihn schwächenden ,dunklen’ Seiten an sich selbst wahr- und anzunehmen und sich so als ganze Person zu akzeptieren (vgl. YALOM, 2002, S. 55 ff). Dies ist die Grundvoraussetzung für ein Mindestmaß an notwendiger Eigenliebe und Selbstvertrauen, die auch im Außen authentisch spürbar sein müssen, um anderen Menschen Vertrauen in sich geben zu können. Zudem wird dieses Mindestmaß benötigt, um nicht von der narzisstischen Zuwendung durch die zu behandelnde Klientel existenziell abhängig zu sein und so vielleicht eigene Konflikte in die Beziehung unreflektiert einfließen zu lassen. Das soll keineswegs bedeuten, dass man stets vollkommen reflektiert im Umgang mit der Klientel sein muss oder überhaupt sein kann. Dieser Anspruch an sich selbst würde sehr bald zu Selbstüberforderung führen. Die durch gravierende Bindungsstörungen meist massiven Beziehungsdynamiken der Kinder und Jugendlichen bewirken immer wieder Verwicklungen der Betreuer in deren und eigene gestörte Beziehungsmuster. Daher müssen diese rechtzeitig reflektiert werden, um ein Aussteigen und damit ein Verstärken der Muster zu verhindern. Das Aussteigen und Loslassen der Verwicklung wiederum ist nur möglich, wenn man die eigenen verwickelten Anteile bereits an sich kennt und akzeptiert (vgl. KERNBERG, 1998, S. 70 ff) oder wenigstens bereit ist, sie kennen zu lernen. Damit verlieren sie an existenzieller Bedrohlichkeit in der eigenen Seele und können auch nicht mehr langfristig für dynamische Reinszenierungen durch die Klientel benutzt werden. Im Folgenden soll die pädagogisch-therapeutische Arbeit mit schwer erziehbaren Kindern und Jugendlichen stellvertretend für alle hochdynamischen Klienten mit gravierenden Selbstwertdefiziten aus der Perspektive der Ontologischen Psychologie, einer Mischung aus Existenzphilosophie und Objektbeziehungstheorie, betrachtet werden.
Das wesentliche Existenzphilosophische bildet hierbei die Fähigkeit des Menschen, durch einen Perspektivwechsel zu eigenen seelischen Anteilen einen gewissen inneren Abstand gewinnen und sich dadurch bewusster über sich werden zu können, statt diesen Anteilen unbewusst und blind ausgeliefert zu sein und sie neurotisch (ängstlich) getrieben ausagieren zu müssen. Durch Selbstreflexion und die Möglichkeit, sich durch Selbsterfahrung von seinen Selbstentwürfen zu distanzieren, kann er sich zunehmend als Seinsentwurf und freie Seinswahl betrachten und hierdurch anders und neu wählen (vgl. SARTRE, 2006, S. 816 ff). Er kann seinen zunächst noch existenziell umklammerten Entwurf durch Reflexion und Akzeptanz desselben loslassen und so unabhängiger von dessen einseitiger narzisstischer Bestätigung durch die Umwelt werden. Wir Menschen behandeln unsere Entwürfe von uns – unser Sein – wie zeitlich überdauernde Gegenstände, die vor der Vergänglichkeit allen Seins beschützt werden müssen, um unserer Existenz dadurch einen Sinn zu verleihen. Die Entwürfe sollen etwas Gutes, Stetiges und Festes sein, das von unserer Umwelt bedingungslos in dieser Form angenommen und gespiegelt werden muss, damit wir es uns selbst glauben (ebd. S. 817 f., 839 f.). Indem wir das geistig verdinglichte Sein aber festzuhalten versuchen und alle ihm unpassenden von der Gesellschaft verurteilten Anteile aus ihm ausblenden, machen wir uns einseitig von ihm abhängig und sind an es gefesselt. Mein verdinglichtes, abgegrenztes und klar definiertes Sein ist mein einseitiger Seinsentwurf, der mir maximale Zuwendung durch die Umwelt und damit auch maximales Sinn- und Seinsempfinden vermitteln soll (ebd. S. 805). Da aber die Existenz nach existenzphilosophischer Auffassung auf kein höheres Ziel verweist und damit nicht auf ein zu erreichendes Sein ausgerichtet ist, stehen einem alle möglichen Seinsentwürfe zur Selbstwahl frei zur Verfügung. Es gibt also kein richtiges oder falsches Sein, welches durch eine Essenz festgelegt ist (vgl. SARTRE, 2007, S. 166 f.). Vielmehr geht es im Leben nur darum, sich durch seine Seinsentwürfe maximal und zeitlich überdauernd sein zu machen, auch wenn dies ,nur’ egoistisch anmuten mag. Hierzu braucht der Mensch aber die anderen, die ihn durch ihr Spiegeln seines Entwurfs überhaupt erst in einer bestimmten erwünschten Weise sein machen. Die Grundvoraussetzung für eine freie Wahl des Selbstentwurfs eines jeden einzelnen bildet jedoch die Bedingung, dass sich die Entwürfe der Individuen einer Gesellschaft nicht gegenseitig behindern oder beschneiden, da sie alle dieselbe Seinsberechtigung haben (ebd. S. 165 f., 172 ff). Man ist also auch aus existenzphilosophischer Perspektive in seinem Entwurf nur so frei, wie man die Freiheit des anderen damit nicht beschränkt. Gerade bei neurotischen und beziehungsgestörten Kindern und Jugendlichen sind solche einseitigen Seinsentwürfe, die zumindest äußerlich von Einmaligkeit, Grandiosität und Überlegenheit gekennzeichnet sind, häufig anzutreffen. In ihrer Biographie zeichnet sich oft ein hohes Maß an Unterdrückung und Verdrängung von Persönlichkeitsanteilen ab, die durch mangelnde elterliche Vorbilder, gewalttätige Sanktionierungen oder Liebesentzug beziehungsweise stark ambivalente und unsichere Beziehungen zu den Bezugspersonen langsam aber stetig in den Hintergrund gedrängt wurden und so allmählich ein sowohl für die Jugendlichen selbst als auch ein für die sie umgebende Umwelt unberechenbares Eigenleben zu führen begannen. Menschen mit solchen frühen negativen Beziehungserfahrungen können kein stabiles Empfinden eines grundlegenden Gut-seins entwickeln. Das lässt sie ängstlich werden und eine ständige Bedrohung ihres Selbstwertgefühls und ihrer grundlegenden Existenzberechtigung spüren. Und wer seine Umwelt ständig als existenzielle Bedrohung erlebt, der ist bereit sich mit allen Mitteln dagegen zu wehren, auch mit körperlicher Gewalt. So wurden aus einst realen existenziell bedrohlichen Situationen angepasste neurotische Selbstentwürfe, die äußerst fragil wirken und unbewusst immer noch von existenziellen Ängsten, die inzwischen nicht mehr nötig wären, beherrscht werden. Die wenigen übrig gebliebenen und Erfolg sowie Zuwendung versprechenden ,guten’ Selbstentwürfe werden dann enorm überbetont und überhöht, um den überwiegenden inneren Mangel an Gefühl, gut und richtig zu sein, auszugleichen. Bleibt die Zuwendung durch die früheren Bezugspersonen aus, orientieren sich Jugendliche rasch an ihresgleichen und nehmen sich gegenseitig zum Vorbild und als Maßstab aller Dinge, statt ihren Eltern zu folgen, die in ihren Wert- und Normvorstellungen eher das Maß der Gesamtgesellschaft darstellen sollten. Sind die Zuwendung und Seinsbestätigung der Jugendlichen (auch mit ihren unterdrückten und gesellschaftlich entwerteten Anteilen) durch die sogenannte Peergroup erst einmal größer als die der erwachsenen Bezugspersonen, ist eine freiwillige Rückkehr zur führenden und respektvollen Autorität der Erwachsenen fast nicht mehr möglich. Kinder und Jugendliche versuchen dann häufig durch Überbetonung auch in ihren vermeintlich bösen Anteilen positiv bestätigt und akzeptiert zu werden, um sich so selbst annehmen zu können. Sie überhöhen sich selbst in ihrem bösen Entwurf und versuchen mit diesem die gesamte zuvor versagt gebliebene Seinsbestätigung und Beachtung mit einem Mal zu erhalten. Wer dies dennoch nicht tut und ihre einseitigen fragilen Entwürfe anzweifelt, der wird aggressiv und zur Not auch mit körperlicher Gewalt entwertet und auf ein Existenzniveau herabgewürdigt, welches nach ihrer Meinung gar nicht mehr imstande ist, ernstzunehmende Zweifel oder Kritik zu äußern. Die existenzielle Angst vor Objekt- und Selbstverlust (Isolierung, Einsamkeit und letztlich dem Nicht(s)sein) lässt sie mit aller ihnen zur Verfügung stehenden psychopathologischen bis hin zur delinquenten Gewalt an ihren fragilen Seinsentwürfen festhalten und diese verteidigen. Die Basis einer Behandlung solcher Kinder und Jugendlichen besteht in erster Linie in einem stabilen Erziehungsrahmen, dem sie sich nicht weiterhin entziehen können. In diesem können und müssen sie ihre gestörten Beziehungsmuster geschützt vor sich selbst und der Umwelt ausagieren und dadurch annehmen sowie korrigieren. Dabei verlieren die Muster an existenzieller Dringlichkeit und Dynamik. In diesem Rahmen und mit der reflektierten sowie aushaltenden Haltung der Betreuer (vgl. KERNBERG, 1998, S. 96) können die Kinder und Jugendlichen ihre verinnerlichten Konflikte stellvertretend für die früheren Bezugspersonen auf die behandelnden Personen und andere Gruppenmitglieder übertragen und an ihnen zu bekämpfen versuchen. Um aber gegenüber bindungsgestörten Kindern und Jugendlichen eine stabile und wohlwollende Haltung haben zu können, bedarf es einer ständigen Analyse der einzelnen Reaktionen sowohl der Behandelnden auf ihre Klientel als auch der Klienten aufeinander innerhalb ihrer Beziehungsgestaltungen (vgl. YALOM, 2005 b, S. 60). Diese Analyse bildet die Grundlage, um von den dysfunktionalen Beziehungsmustern einen inneren Abstand gewinnen zu können. Was aber passiert hierbei nun genau?
Jeder Mensch überträgt seine innerseelischen Konflikte, besonders die an sich ungeliebten und verurteilten Anteile, auf seine Umwelt, um diese dort zu bekämpfen und sich dadurch seelisch zu befrieden (vgl. MENTZOS, 2005, S. 268 f.). Andere Personen, insbesondere die einer Gruppe, sollen also stellvertretend für die eigenen Konflikte die ungeliebten Rollen übernehmen. Dabei entsteht in Gruppen eine sogenannten Matrix (vgl. FOULKES, 1974, S. 32 ff, 163 ff; YALOM, 2005 b, S. 37 ff, 64 f.), in welcher jeder Teilnehmer aus den vorhandenen Gruppenmitgliedern sein früheres krankmachendes Netzwerk, die Primärgruppe, inszenieren will, um zu ermöglichen, dass die guten und akzeptierten Anteile über die bösen und verachteten Anteile siegen können. So können diese zum Guten geformten Anteile wieder unbewusst ins Seelische reintegriert werden und dort ein sicheres Gefühl des Angenommen- und Geliebtseins vermitteln. Und genau diese Manipulation geschieht auch in einem so engen Erziehungsrahmen wie der Sozialtherapie, wobei in der folgenden Betrachtung der Fokus mehr auf die Übertragung und Gegenübertragung der Jugendlichen auf die Betreuer gelegt werden soll statt auf die Interaktion zwischen den Jugendlichen selbst. Die Kinder und Jugendlichen übertragen also ihre einseitig guten und bösen psychischen Subjekt- und Objektrepräsentanzen auf die betreuenden Personen (vgl. KERNBERG, 1998, S. 26 f.; YALOM, 2005 b, S. 39 f., 48, 57). Die Betreuer werden dann in derselben Weise voneinander zu spalten versucht, wie die Introjekte im Seelischen der Jugendlichen voneinander gespalten sind (vgl. YALOM, 2005 b, S. 34). So wird also mindestens eine behandelnde Person mit dem guten Anteil des Kindes besetzt und dadurch unrealistisch idealisiert. Ebenso wird mindestens eine Person mit dem negativen abgespaltenen Anteil besetzt und folglich unrealistisch entwertet und bekämpft. Das innerseelische Gefüge des Jugendlichen wird also auf mehrere Personen als eine Art lebender Organismus übertragen. Die nun einseitig dyadisch gut und böse besetzten Betreuer sollen durch massive Idealisierung sowie Entwertung immer mehr von einander entfernt und dadurch gespalten werden (vgl. KERNBERG, 1998, S. 98 f.). Ziel dieser unbewussten Inszenierung ist die nun gegenseitige Bekämpfung der behandelnden Personen. Einer der Betreuer fühlt sich dem anderen unrealistisch und übermäßig selbstbewusst überlegen und greift den vermeintlich schwächeren an und entwertet diesen. Der andere fühlt sich dagegen vom idealisierten Betreuer zu Unrecht massiv angegriffen und unrealistisch entwertet, was in ihm ein Minderwertigkeitsempfinden auslöst. Nur auf diese Weise der Übertragung ihrer innerseelischen Konflikte auf Personen ihrer Umwelt können die sonst im Jugendlichen selbst abgespaltenen und strikt voneinander getrennten Introjekte miteinander in den Dialog und in den Kontakt treten. Genau hierin liegen also sowohl die große pädagogisch-therapeutische Chance als auch die wesentliche Gefahr in der Arbeit mit hoch beziehungsdynamischen Menschen. Es ist nur dann eine Chance, wenn sich die widersprechenden und bekämpfenden Selbst-Objekt-Dyaden (ebd. S. 105) des Kindes einander deutlich an den Betreuern zeigen und sich durch die Reife der Behandelnden offen begegnen können ohne sich dabei gegenseitig zu vernichten. Wenn die gespaltenen Betreuer entsprechend in der Lage sind zu erkennen, dass ihre gegenseitige Spaltung und die damit einhergehenden Empfindungen von Idealisierung und Entwertung nicht der Erfahrung von sich selbst entsprechen, die sie sonst durch die Spiegelung aus ihrer Umwelt haben, können sie sich sowohl von ihrer unrealistisch empfundenen Grandiosität als auch von der enormen Minderwertigkeit distanzieren (ebd. S. 80 f.). Hierzu bedarf es aber der inneren Stärke der Behandelnden, sich selbst von inneren Minderwertigkeits- und Grandiositätsempfindungen loszulösen, auch wenn die Versuchung groß ist, sich mit einem dieser Empfindungen einseitig zu identifizieren. Wer sich also innerlich oft selbst als minderwertig und klein empfindet, steht in der großen Versuchung, entweder die einseitige Idealisierung des Jugendlichen anzunehmen und so sein eigenes Minderwertigkeitsempfinden zu kompensieren. Es kann aber auch umgekehrt vorkommen, dass er sich plötzlich ebenso einseitig mit dem Minderwertigkeitsempfinden identifiziert und sich verzerrt als das vom idealisierten Betreuer bekämpfte Opfer wahrnimmt, was wiederum zu Frust Wut und Aggression gegenüber dem abwertenden Kind und dem von diesem idealisierten Betreuer führen kann. In beiden Fällen wirkt die Spaltung besonders dann effektiv, wenn die Betreuer ihrerseits viele vermeintlich negativen Selbstanteile aus ihrer Person ausschließen und so ihr Selbstwertgefühl durch die ständige Bedrohung böser Anteile in sich selbst schwächen lassen (vgl. YALOM, 2005 b, S. 60). Je mehr man also innerseelisch gespalten ist, desto leichter und massiver gelingt die inszenierte Spaltung durch die hochdynamische Klientel. Spaltung in sich selbst soll hierbei nichts anderes bedeuten, als dass jeder Mensch ganz bestimmte Eigenschaften besitzt, die er an sich mag, schätz sowie überbetont und mit denen er versucht sich einseitig zu identifizieren, um von seiner Umwelt positiv gespiegelt zu werden (vgl. MENTZOS, 2005, S. 199 f.). Andere Eigenschaften mag er hingegen gar nicht an sich, wodurch er dann versucht sie anderen unterzuschieben, sie zu verleugnen oder zu verdrängen. Für solche Eigenschaften schämen wir uns im Allgemeinen und fühlen uns für sie schuldig und minderwertig, da sie uns in der persönlichen Entwicklungsgeschichte Zurückweisungen und Missbilligung durch die Umwelt einbrachten. Mit ihnen will man nichts zu tun haben und es verletzt und kränkt einen, wenn man mit ihnen identifiziert wird. Dennoch bilden die frühesten und existenziell drängenden Persönlichkeitsanteile unsere grundlegenden verinnerlichten Objekte der frühen Kindheit, wodurch sie unseren Charakter und unsere Beziehungsgestaltung determinieren. Damit bilden sie auch unweigerlich die ,Standbeine’ unserer Existenz, ohne die wir nicht ,laufen’ können. Entsprechend dieser grundlegenden Spaltung eines jeden Menschen werden in der Arbeit mit hochdynamischen Kindern und Jugendlichen nicht nur die behandelnden Personen untereinander intersubjektiv in einseitig gute und böse Objekte gespalten, sondern auch die betroffene Person intrasubjektiv in sich selbst. Genau dies ist bei der schizoiden Disposition der Fall (vgl. FAIRBAIRN, 2007, 89 ff). Diese zeichnet sich gerade dadurch aus, dass man aufgrund sich massiv bekämpfender negativer Introjekte das Empfinden hat, minderwertig, unterlegen, schlecht sowie unzureichend und dadurch nicht liebenswert um seiner selbst willen zu sein. Durch das erhebliche Überwiegen unterdrückender negativer und kränkender Introjekte gegenüber den sehr wenigen guten verinnerlichten Objekten wird in einigen von uns Menschen eine fast ständige existenzielle Angst empfunden, verlassen, isoliert sowie einsam sterben gelassen zu werden. Man reagiert in seiner Verletzlichkeit durch seine Umwelt dann derart empfindlich auf Zurückweisungen, dass man seine wenigen und sehr fragilen guten Introjekte mit einer massiv anmutenden innerseelischen Trutzburg vor Anzweiflung und vermeintlichem Angriff schützt und verteidigt. Um mögliche Anzweiflungen und Infragestellungen des sehr empfindlichen und zerbrechlichen guten Selbstentwurfs zu verhindern, werden extrem feine ,Sensoren’ gegen die vermeintlichen Gefahren aus der bedrohlichen Umwelt ausgerichtet. Mit ihnen kann dann die Gefahr schon viele ,Meilen gegen den Wind’ wahrgenommen werden. Diese hohe Empfindsamkeit psychischer Sensoren ermöglicht dem Individuum einen sehr sensiblen und feinfühligen Zugang zu Menschen, die ähnlich massive Spaltungen und unbewusste Konflikte in sich tragen. Ihre Sensibilität ermöglicht ihnen ein tiefes Verständnis und Mitgefühl für den schizoiden Zustand anderer, in welchem sie sich existenziell bedroht und teilweise von der Welt der anderen abgeschnitten empfinden. Damit sind Menschen, denen dieser gelegentliche Zustand innerer Spaltung und Selbstentfremdung bekannt ist, geradezu prädestiniert, auch selbst pädagogisch-therapeutisch zu arbeiten. Der wesentliche Unterschied zur Klientel besteht jedoch darin, dass professionell arbeitende Personen durch Selbsterfahrung über ihre negativen und positiven Introjekte (Selbstentwürfe) Bescheid wissen und sich diesen überwiegend bewusst sind, was einen Zustand verstärkter Selbstbewusstheit mit sich bringt. Wissen sie dagegen zunächst noch nicht bewusst über sich – ihre typischen Reaktions- und Abwehrmechanismen – Bescheid und verspüren dennoch ein tiefgreifendes Gefühl der Entwertung oder Idealisierung, so können sie zumindest daraus schließen, dass in der Gegenwart einer anderen Person ein unbewusster Selbstanteil in Resonanz und Schwingung gekommen ist, den es sich als behandelnde Person anzuschauen und zu reflektieren gilt (vgl. KERNBERG, 1998, S. 83 f.). Durch die Selbsterfahrung können sie ihre Reaktionen auf manipulatives Verhalten und ihre eigenen Persönlichkeitsanteile, die dadurch ins Schwingen und Ausagieren gebracht werden, reflektieren und sich so innerlich von diesen als Selbstentwürfe distanzieren. Übrigens manipuliert jeder Mensch seine Umwelt, um positiv gespiegelt zu werden. Es wird ihnen dadurch aber auch ermöglicht, die innere existenziell drängende Gefühlswelt des manipulierenden Jungendlichen nachzuempfinden, da er seine innere Spaltung nun auch in der behandelnden Person erzeugt. In der bewussten Reflexion eigener als schwierig empfundener Selbstanteile nehmen die Betreuer jedoch sogleich eine wohlwollende beobachtende Perspektive eines reiferen Introjektes ein, welches freilich auch wieder ein Seinsentwurf auf einer höheren Ebene darstellt. Man kann davon ausgehen, dass diese reifere und mehr überschauende Perspektive, die eine professionell arbeitende Person gegenüber ihren Klienten einnimmt, aus den verinnerlichten Sichtweisen wohlwollender und akzeptierender Selbsterfahrungsbegleiter (Lehrtherapeuten) stammt. Diese in der Ontogenese erst wesentlich später und daher weniger existenziell drängenden verinnerlichten Objekte ermöglichen einen akzeptierenden und annehmenden Umgang mit vermeintlich schwierigen und existenziell bedrohlichen Introjekten der frühesten Kindheit und Jugend. Die reifen Seinsentwürfe werden den unreifen früheren Seinsentwürfen sozusagen als wohlwollende Eltern zur Seite gestellt und erlauben es der betreffenden Person, sich selbst in den ungeliebten Anteilen bewusst zu erkennen und anzunehmen. Der Perspektivwechsel bedeutet das Reflektieren und Loslassen seiner vermeintlich negativen Selbstentwürfe als solche und damit ein sich selbst bewussteres Sich-in-Situation-begeben (vgl. SARTRE, 2006, S. 941 ff) in einen umfassenderen und reiferen Seinsentwurf. Fakt ist, dass die gespaltenen Anteile des Jugendlichen auch im behandelnden Therapeuten nur dann besonders zum Schwingen gebracht werden können, wenn dieser ebenfalls über ähnliche gespaltene gute und böse Introjekte verfügt (vgl. KERNBERG, 1998, S. 83 f.). Er kann also zunächst gar nicht anders, als in diesem inszenierten Beziehungsmuster vorerst selber in sich einseitig grandios oder minderwertig mitzuschwingen. Seine eigene intrapsychische Spaltung sich widersprechender Seinsentwürfe sowie sein Eingeständnis derselben bilden sozusagen die Grundlage des Gelingens und reflektierenden Verstehens des gestörten Beziehungsmusters, welches vom Klienten manipulativ inszeniert wird. Kommt es nun durch Inszenierungen der Kinder und Jugendlichen zu unbewussten und unreflektierten Spaltungen unter den Behandelnden, sodass sie sich stellvertretend für die Jugendlichen gegenseitig bekämpfen, dann verstärken sie unbewusst das innere gestörte seelische Gefüge der Jugendlichen. Die Kinder und Jugendlichen sehen dann ihre innere gespaltene Realität in der äußeren bestätigt. Sie können ihr Selbstwertgefühl dadurch zwar kurzzeitig stabilisieren, indem sie den besiegten bösen Feind in Form einer realen Person in der Außenwelt belassen, ihn dort weiter bekämpfen und die siegende gute sowie grandiose Person, mit der sie sich nun identifizieren, wieder psychisch in sich aufnehmen. Damit verhindern sie aber auch weiterhin, dass sich die gespaltenen Anteile gegenseitig akzeptieren und liebevoll annehmen können. Dieses liebevolle, mutige, offene und wertschätzende Annehmen aller Selbstanteile (Entwürfe) konnten die früheren Bezugspersonen nicht gewährleisten. Gelingt also die Spaltung unter den Professionellen, können die sich gegenseitig bekämpfenden innerseelischen Anteile der Kinder erneut weder versöhnen noch in Frieden existieren lassen. Die innere Zerrissenheit wird so wieder bestätigt und verfestigt statt aufgelockert. Folglich bleibt der Betroffene weiterhin von abgespaltenen bösen Selbstanteilen unterdrückt, was zu einem ausgeprägten Minderwertigkeitsempfinden führt. Um dieses erdrückende Empfinden zu kompensieren und das Selbstwertgefühl kurzzeitig zu stabilisieren, können wir Menschen entweder unsere fragilen Selbstfragmente, egal, ob positiv oder negativ, überbetonen oder vermeintlich bedrohliche Objekte in der Umwelt massiv entwerten und bekämpfen. Das gelingt jedoch nur solange, bis die inneren Unterdrücker wieder lauter werden und sie das Selbstwertgefühl erneut schmälern. Kein Mensch bringt die psychische Kraft auf, seine inneren Feinde dauerhaft durch die emotional aufwendige Manipulation der Umwelt von sich fernzuhalten oder sich der Umwelt einseitig anzupassen. Um dennoch die einmal entstandenen Spaltungstendenzen zwischen den Behandelnden zu unterbinden, ist es notwendig, dass der idealisierte Betreuer rasch in die Rolle des entwerteten wechselt, um ihn in seiner Rolle zu entlasten und die Abwehr so auf beide gleich zu verteilen. Zudem müssen die Kinder und Jugendlichen korrigierend erfahren, dass die vermeintlich gespaltenen Betreuer trotz der ihnen einseitig zugeschriebenen Attribute sowohl enormer Grandiosität als auch absoluter Minderwertigkeit friedlich und wohlwollend miteinander umgehen und auch verlässlich im Kontakt miteinander bleiben (vgl. YALOM, 2005 b, S. 40). Nur so kann im Extremfall durch das Entgegensetzen einer einheitlichen ,Front’ eine Spaltung verhindert werden, wobei sich die Betreuer abwechselnd als Übertragungsobjekte für die Jugendlichen zur gegenseitigen Entlastung zur Verfügung stellen, jedoch dabei nie nachtragend die Beziehung abbrechen (vgl. KERNBERG, 1998, S. 84). Die Behandelnden müssen also in jedem Fall zunächst einmal in diese Dynamik des Gespaltenwerdens hineingeraten und sie spüren, um sowohl in sich selbst als auch untereinander in eine existenzielle Beziehungsdynamik zu gelangen, die in abgeschwächter Form der Beziehungserfahrung ihrer Klienten ansatzweise entspricht. (vgl. YALOM, 2002, S, 81 ff). Dieses zunächst unbewusste Mitschwingen im dysfunktionalen Beziehungsmuster ist umso ausgeprägter, je weniger man über seine eigenen blinden Flecken im Bilde ist und je weniger man über seine neokortikalen Funktionen des Frontallappens mit der grundlegenden Fähigkeit zur Selbstdistanzierung verfügt. Ist man psychisch und physisch längere Zeit hindurch angespannt, verängstig und dadurch gestresst, stehen einem nicht mehr alle neokortikalen Funktionen einwandfrei zur Verfügung, woraufhin immer mehr phylogenetisch niedere und instinkthaftere Gehirnschichten die Steuerung des Individuums übernehmen. Der kognitive Puffer, wie ich ihn nenne, ist durch längere seelische Belastung aufgebraucht und der Organismus gerät dann in einen archaischen Selbsterhaltungsmodus, in dem es weniger kognitiv kontrolliert, als vielmehr reflexartig emotional auf Angriff oder Verteidigung bezogen zugeht. Und genau dann gerät man nur allzu schnell in eine Stimmung, in der man eigene unbewusste existenziell drängende Anteile unreflektiert auf die Kinder und Jugendlichen überträgt und diese dann auch an ihnen bekämpft. Es bedarf also einer regelmäßigen Erholung für Körper und Psyche. Nur unter der Bedingung einer eigenen Selbstbewusstheit kann man sich als ein zwischen den abgespaltenen Anteilen der Jugendlichen vermittelndes Hilfs-Ich bewusst, reflektiert und immer wieder kontrolliert und offen mitschwingend in die Beziehung mit psychisch beeinträchtigten Klienten begeben. Dadurch gelingt das notwendige rasche Aussteigen aus dem manipulierten Muster mittels Selbstreflexion eigener Minderwertigkeits- und Größenfantasien. Das Gegenüber kann in seiner Entwicklung nur dann wirklich profitieren und so die Spaltung am Vorbild der wertschätzenden Betreuer auch innerlich nach und nach aufheben, wenn es die Professionellen ebenfalls schaffen, aus den eigenen unbewussten und einseitigen Anteilen auszusteigen. Die behandelnden Personen sind Vorbildrollen, die von den Kindern und Jugendlichen teilweise introjiziert werden (ebd. S. 90 ff). Daher obliegt den Professionellen die Verantwortung, weiterhin wertschätzend miteinander umzugehen, ohne den Kontakt zueinander abzubrechen oder sich zu bekriegen. Man muss also seine eigenen ,Feinde’ (Verletzlichkeiten…) gut kennen, um nicht ständig wieder in ihre früheren existenziellen Fänge zu geraten. Damit bieten solche Spaltungsversuche unter Behandelnden durch hochdynamische Klienten immer auch eine große Chance für die Professionellen selbst, ihre inneren Konflikte aufgezeigt zu bekommen und an ihren abgespaltenen ,Schwächen’ zu arbeiten. Es ermöglicht den Kindern und Jugendlichen letztlich sowohl ein Loslassen einseitig guter oder böser Seinsentwürfe ohne massive existenzielle Ängste als auch ein Erlangen von mehr Freiheit im eigenen Sein. Das stabile und die eigenen bösen Selbstrepräsentanzen aushaltende authentische Team lässt sich durch hochdynamische Spaltungsversuche nicht auseinanderbringen und zeigt, dass es sowohl positive als auch negative Anteile friedlich nebeneinander in sich vereint belässt, ohne dass diese sich existenziell bekämpfen müssen. Damit bleiben wider Erwarten die gegenseitige Isolation der Teammitglieder sowie der damit einhergehende existenziell bedrohliche Beziehungsabbruch aus. Der Klient erfährt hierdurch, dass er trotz massiver Überhöhung seiner vermeintlich destruktiven Selbstanteile von seiner Umwelt ausgehalten wird, ohne dass er in existenzielle Konflikte gerät (vgl. YALOM, 2005 a, S. 478 ff). Dann können sowohl die Behandelnden als auch die Klienten vermehrt spielerisch zwischen den Selbstfragmenten pendeln, wodurch sie nicht mehr gezwungen sind, krampfhaft und wackelig auf nur einem Bein zu stehen und mit diesem – bildlich gesprochen – unbeholfen durch das Leben zu hüpfen. Der seelische Organismus kann dann mithilfe des zuvor ,amputierten’ Beines wieder ruhiger und sicherer gehen, ohne bei jedem Hindernis aus der Umwelt sogleich ins Straucheln zu geraten. Durch die Abnahme der empfundenen existenziellen Bedrohung durch die in der Gegenwart unterdrückten Selbstanteile nimmt die Verletzlichkeit durch mehr innere Stabilität spürbar ab. Es kommt zur Ausbildung von erheblich mehr Selbstvertrauen durch Selbstakzeptanz und Selbstliebe. Auf der ,Bühne’ des alltäglichen Gruppengeschehens spielen sich genau diese inneren ,Theaterstücke’ der Jugendlichen in Form von Reinszenierungen ab. Natürlich besteht auch noch die Gefahr, dass sich die Kinder und Jugendlichen für ihre Inszenierungen wegen der Unmöglichkeit, ein pädagogisch-therapeutisches Team zu spalten, dann andere instabilere Personen suchen, um die frühere Welt weiter zu beleben und so nicht Angst vor Veränderung und Selbstverlust haben zu müssen. Das versuchen sie insbesondere gegenseitig an sich und an ihren bisherigen Bezugspersonen wie Eltern, Geschwistern oder Freunden. Genau hier verhindert allerdings ein enger sozialtherapeutischer Rahmen sowohl das Ausweichen auf andere Objekte als auch den befürchteten Selbstverlust bei Veränderungen der Beziehungsgestaltung. Manchmal sind eben die Bindungen und das Beziehungsverhalten der Kinder und Jugendlichen derart beeinträchtigt, dass sie nur in einem derart hoch strukturierten geschlossenen Rahmen ausreichend aufgefangen und therapiert werden können.
Elementar für das Widerstehen eines multiprofessionellen Teams gegenüber massiven Manipulationen und Spaltungsversuchen durch die Klientel ist ein sicherer und tragender Rahmen, der das Team durch eine klare, berechenbare und vertrauensvolle Leitung stützt. Es ist also sehr wichtig, dass das behandelnde Personal seinerseits Stabilität und Vertrauen in seine Kompetenz und sein grundlegendes Gut-sein erfährt, um eigene Verwicklungen mit den Klienten reflektieren und sich diese eingestehen zu können. Ein professionelles Team kann seinen zu behandelnden Kindern und Jugendlichen nur maximal so viel Empfinden von Sicherheit und Vertrauen in ein tiefgreifendes Richtig- und Gut-sein vermitteln, wie es dieses selbst durch seine leitenden Führungskräfte erfährt. Es kann also nur ,Fehler’ an Kindern und Jugendlichen verzeihen, wenn es sich diese auch selber an sich selbst verzeihen kann und ihm diese verziehen werden. Dabei muss Kritik für begangene Fehler sachlich bleiben und darf nicht die gesamte Person vernichtend infrage stellen. Schafft es also eine Einrichtung nicht von der Spitze an eine solche vertrauensvolle Beziehung und emotionale Stabilität gegenüber den Mitarbeitern zu gewährleisten, werden damit Spaltungen und unprofessionellem Handeln der Mitarbeiter Türen und Tore geöffnet. Die existenzielle Bedrohung des Verlustes des Arbeitsplatzes ist hierbei nicht zu unterschätzen. Gelingt es also nicht, die existenzielle Bedrohlichkeit aus den Interaktionen zwischen den Hierarchien herauszunehmen und diese durch Vertrauen, Wertschätzung und authentischen Dialog zwischen Menschen derselben Existenzberechtigung zu ersetzen, kann auch ein derart schwieriges Unterfangen wie das der Resozialisierung von schwer erziehbaren Kindern und Jugendlichen nicht gelingen. Spaltungen in professionellen Teams gelingen in erster Linie genau dann, wenn die Spaltungsdynamik, welche von der schwierigen Klientel ausgeht, auch unbewusst von einzelnen des Teams sowie der Teamleitung unmerklich aufgegriffen und übernommen wird. Einseitige Idealisierung und Entwertung werden dann nicht als zum Klienten gehörig wahrgenommen, sondern einzelnen Mitarbeitern des Teams tatsächlich unterstellt. Ohne es zu bemerken bleiben dann einige Mitglieder des Teams mit dem übermäßig idealisierten Anteil der Kinder und Jugendlichen identifiziert und missbrauchen ihn unbewusst, um die von den Kindern entwerteten Teammitarbeiter auch ihrerseits zu bekämpfen. Hierbei spielt jedoch häufig die eigene Konfliktdynamik leitender Personen eine entscheidende Rolle. Je mehr diese in sich selbst unwissendlich wesentliche Persönlichkeitsanteile aus existenzieller Angst, für diese in der Gesellschaft in Isolation zu geraten, unterdrücken und abspalten, desto größer ist dann ihre Versuchung, diese vermeintlich minderwertigen Anteile an Kollegen und Untergebenen mittels Spaltung zu bekämpfen. Das ermöglicht ihnen häufig, sich selbst mit der ihnen von der Klientel übergestülpten idealisierten Rolle zu identifizieren und eigene negative Anteile am anderen zu bekämpfen. Gerade Führungspersonen müssen daher sehr gut über ihre eigenen Stärken und Schwächen Bescheid wissen und diese auch bis zu einem gewissen Grad an sich akzeptieren. Nur so ist es möglich ein Team vor Manipulation zu schützen und regelrechte Retraumatisierungen sowohl der Klientel als auch des professionellen Teams zu unterbinden. Und das gilt wiederum allgemein für alle Formen menschlicher Führung und damit auch für Leitungspositionen ökonomisch ausgerichteter Unternehmen!


Literatur

Fairbairn, W. R. D. (2007). Das Selbst und die inneren Objektbeziehungen, S. 89–170, Gießen: Psychosozialverlag

Foulkes, S. H. (1974). Gruppenanalytische Psychotherapie, S. 32–35, 163–167, München: Kindler Verlag

Kernberg, O. F. (1998). Psychodynamische Therapie bei Borderline-Patienten, S. 26 f., 70–73, 80 f., 83 f., 96, 98 f., 105, 2. überarbeitete Aufl., Bern: Hans Huber

Mentzos, S. (2005). Neurotische Konfliktverarbeitung, S. 268 f., 199 f., 19. Aufl., Frankfurt am Main: Fischer Verlag

Sartre, J. P. (2006). Das Sein und das Nichts, S. 805, 816–824, 839 f., 941–943, 12. Aufl., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuchverlag

Sartre, J. P. (2007). Der Existentialismus ist ein Humanismus, S. 165–167, 172–176, 4. Aufl., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuchverlag

Yalom, I. D. (2002). Der Panama-Hut oder was einen guten Therapeuten ausmacht, S. 55–58, 81–83, 90–92, 7. Aufl., München: Goldmann

Yalom, I. D. (2005 a). Existenzielle Psychotherapie, S. 478–481, 4. vermehrte Aufl., Bergisch Gladbach: Andreas Kohlhage

Yalom, I. D. (2005 b). Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie-Ein Lehrbuch, S. 34, 35, 37–40, 48, 57, 60, 64 f., 8. Aufl., Stuttgart: Pfeiffer bei Klett-Cotta

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