Montag, 18. August 2008

Eine Buchempfehlung

Bereits während meines Studiums der Rehabilitationspsychologie erschienen mir viele Mainstream-Theorien und Anschauungen der heutigen akademischen Psychologie eifrig konstruiert und wenig phänomenologisch an der eigenen Existenz überprüft. Eben in dieser Überprüfung galangte ich auf der Basis tiefenpsychologischer Konzepte sowie existenzphilosophischer Sichtweisen zu wichtigen Erkenntnissen, die ich seit Juli 2008 in einem kleinen Buch veröffentlicht habe. Da meine human- und geisteswissenschaftliche Sicht der Dinge angesichts einer Zeit der anglo-amerikanisch orientierten und nach Anerkennung als Naturwissenschaft ringenden Psychologie nicht unbedingt populär ist, habe ich große Bedenken, dass meine Gedanken unbemerkt im Buchladen verstauben könnten.

Daher hier nun einige Textausschnitte, um eventuell Durst auf mehr Tiefgang zu wecken.

Titel: Existenzphilosophische Perspektive in der Tiefenpsychologie
Autor: Andreas Mensch
Broschiert: 208 Seiten, 5 Abbildungen
Verlag: Books On Demand GmbH; 7. Auflage
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3833475948
Preis: 16,-€

http://books.google.de/books?id=vxfs2InnxPcC&printsec=frontcover&dq=andreas+mensch&hl=de&ei=ZSv4TNjbOcOZ4Aa28ZXHBw&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=1&ved=0CCwQ6AEwAA#v=onepage&q&f=false






Inhaltsverzeichnis

Vorwort 7
Warum uns manche Melodien traurig stimmen
– eine existenzialistische Betrachtung 13
Die Belebung der Leere
– der Versuch einer Grundlegung der Ontologischen Psychologie 19
Die Bedeutung der Existenzphilosophie für die psychodynamische Objektbeziehungstheorie 43
Die Bedeutung der Übertragung aus Sicht der Ontologischen Psychologie 49
Die Bedeutung der Neurose aus ontologisch-psychologischer Sicht – eine Frage der Identifizierung 61
Das ontologisch-psychologische Verständnis des Freud’schen Narzissmuskonzepts 65
Der Andere ist uns bloße Möglichkeit 71
Wenn das Idealselbst zum absoluten und faktischen An-sich wird 75
Wie wir unsere Welt beleben 81
Die Grundantriebe des Lebendigen aus analytisch-existenzieller Perspektive 83
Das Eintauchen in den Existenzialismus 107
die Fallgeschichte Daniel W. aus existenzieller Perspektive 111
Das Sein im Blickwinkel der Gestalttherapie 119
Über die Romantik 129
Der Baum der Identitäten – Ein Gleichnis 133
Was in mir ist, das ist auch draußen 143
Wir sind das, was uns umgibt 175
Der pädagogisch-therapeutische Alltag als Bühne innerer psychischer Konflikte 179
Das Wassertropfenmodell 197
Nachwort 201








Vorwort

Die in diesem Band zusammengefassten Aufsätze sollen einen Versuch darstellen, existenzielle und psychodynamische Ansätze in Bezug auf die Definition des Menschen miteinander zu verbinden. Diese Synthese aus philosophischer und psychologischer Perspektive möchte ich aus pragmatischen Gründen Ontologische Psychologie nennen, da sie das Sein – die nackte Existenz des Menschen – besonders hervorhebt. Man könnte sie als eine kritische Betrachtungsweise psychodynamischer Theoriekonstrukte aus einer existenzphilosophischen Perspektive heraus verstehen. Sie ist angelehnt an SARTRES Existenzialismus und bewegt sich damit im sehr breiten Spektrum der Existenziellen Psychologie und Psychotherapie. Sie versteht den Menschen als permanent in den Versuch involviert, sich psychodynamisch vor der Angst der Sinnlosigkeit und der psychischen Nicht-Existenz zu schützen. Der Mensch wird insofern als ein vor dem Nichtseinskomplex, wie ich ihn bezeichnen möchte, flüchtendes Wesen betrachtet, denn er sorgt sich stets um sein Sein – seine faktische Existenz – in seiner durch die Zeitlichkeit bedingten Endlichkeit, wie es beispielsweise HEIDEGGER ausdrückte. Nach SARTRES Ansicht besticht das Menschsein durch die Dimension des Sich-Vorausdenken- und Entwerfen-könnens, das reflexive Cogito, zu welchem sowohl das Tier als auch der neu geborene Mensch nicht befähigt sind. Die menschliche Existenz als Bewusstsein von sich selbst und der Welt zwingt ihn, sich selbst in die Zukunft hin als etwas Bestimmtes sinnvoll entwerfen zu müssen, um sich sein zu machen und sich als ein Ich zu empfinden. Durch sein Sein als Bewusstsein im ständigen Entwerfen und wiederkehrenden Reflektieren dieses Entwerfens von sinnvollen und zielgerichteten Seinsentwürfen begriffen, entfernt er sich immer wieder von sich selbst und seinem Seinsentwurf und erkennt sich gezwungenermaßen als bloße Seinsmöglichkeit unter unzähligen anderen. Er erkennt, dass er nichts weiter als Möglichkeiten ist und sein Bewusstsein (Für-sich) zwar den Entwurf setzt, jedoch zugleich nichts Bestimmtes und Objektives (An-sich) sein kann, sondern eine Seinsweise ohne dingliches Sein darstellt. Mit diesem Gewahrsein des eigenen Nichtseins erkennt sich der Mensch in seiner Endlichkeit, seiner Beschränkung und seinem Nicht-sein. Dadurch sieht er sich letztlich in seiner Abspaltung von seinem präreflexiven Cogito angesichts seines konstruierten Seins ängstlich in die Existenz geworfen. Er vernimmt, dass nichts im Leben – keine Existenz – stetig, überdauernd und vor dem Vergehen verschont bleibt. Dies stellt die unfassbare Urangst des Menschen dar, die er seit seiner Geburt durch neurotische Abwehrmechanismen subtil zu bekämpfen versucht bis hin zu ausgeprägten Psychopathologien. Ursächlich hierfür ist die im Kontakt mit den ersten Objekten einhergehende Spaltung des anfänglich rein organismischen Ich in ein entworfenes gutes oder böses Ich und in ein dieses Ich reflektierendes, bewertendes Ich. Zum einen wird dabei eine nicht bewusste psychodynamische Abwehr gegen die Existenzangst beziehungsweise Angst vor dem Nichtseinskomplex angenommen. Zum anderen steht fest, dass aus existenzphilosophischem Blickwinkel der Angst vor dem Nichtsein und der durch die Ich-Spaltung empfundenen Sinnlosigkeit der Existenz nur durch Entwerfen eines Sinns im Kontakt mit der Umwelt begegnet werden kann. Das sich immerzu zu nichts reflektierende Denken gibt uns Menschen tatsächlich ein Empfinden des Nichteingebundenseins in einen übergeordneten Sinn, verdeutlicht ihm dabei aber auch seine Endlichkeit und gänzliche Eigenverantwortung für seine Existenz.
Der Mensch erkennt – im Unterschied zum Tier – dass er sterben wird. Zum Leben muss er aber diese Existenz- oder Todesangst auf Distanz zu sich halten und abwehren können. Gelingt ihm das nicht in einem ausreichenden Maß, wird er seelisch krank und greift zu radikalen psychopathologischen Strategien, um sich der sich aufdrängenden Angst zu entledigen. In dieser Betonung der letzten wichtigen Dinge des Lebens, denen sich jeder Einzelne irgendwann selbst zu stellen hat, sofern er bestrebt ist, zu reifen, ist die Ontologische Psychologie eindeutig in der Existenzphilosophie verankert. Reifen meint hier die stetig verbesserte Anpassungsfähigkeit des Individuums an sich verändernde Umweltbedingungen zum Zwecke der Erhöhung der Überlebenswahrscheinlichkeit. Des weiteren nutzt sie als Erklärungsgrundlage und zum Verständnis des Seins die Objektbeziehungstheorie der Psychoanalyse.
Die folgende Zusammenstellung von Artikeln, die jeweils separat voneinander und über einen längeren Zeitraum hinweg entstanden sind, stellt einen Versuch dar, die Ontologische Psychologie exemplarisch zu umreißen. Dabei verstehe ich sie als eine Möglichkeit einer Ergänzung sowie Bereicherung der überwiegend von Irvin YALOM mitbegründeten Existenziellen Psychotherapie sowie der gesamten Tiefenpsychologie. Sie legt besonderen Wert auf die phänomenologische Interpretation und Analyse vielfältigster alltäglicher menschlicher Eigenarten und überschreitet damit das Gebiet der reinen Psychopathologie. Die Motivation für solche komplexen Überlegungen war schlichtweg meine eigene Konfrontation mit existenziellen Themen wie Eigenverantwortung, Selbstwahl, Sinn und Tod. Nach Abschluss meines Studiums der Rehabilitationspsychologie war ich erfüllt von psychoanalytischem Wissen, das mir in seiner Abstraktheit wenig Antworten auf meine aktuellen Fragen meiner Existenz geben konnte. Ich sah mich wie selten zuvor in meinem Leben nun unmittelbar dem harten Kampf der Arbeitsuche gegenüber gestellt. Mich selbst nach dem Sinn meiner Existenz, nach meiner Berufung angesichts einer enormen Zukunftsangst fragend, stieß ich zunächst auf YALOMS Buch Existenzielle Psychotherapie. Es wies mir eine ganz neue und in ihrer Einfachheit äußerst plausible Denkrichtung auf, die meines Erachtens besser imstande war, mir die letzten Dinge des Lebens verständlicher zu machen und mit ihnen umzugehen. Durch diese Inspiration wurde alsbald mein Interesse besonders für SARTRE aber auch für HEIDEGGER, SCHOPENHAUER, NIETZSCHE und nicht zuletzt WATTS geweckt. Der unerwartete und plötzliche Tod einer nahestehenden Person im selben Jahr verstärkte zudem das Interesse an der Sinnfrage beträchtlich. Die Offenbarung der empfundenen Sinnlosigkeit des Menschen und jeder Existenz durch die Bewusstwerdung der Vergänglichkeit allen Seins löste in mir zunächst eine erschütternde Krise aus, in der sich mein bis dahin konstruierter Sinnglaube auflöste und ich die nackte Kälte des letzten Grundes menschlicher Existenz zu spüren bekam. Erst nach weiterem Studium und Nachdenken erkannte ich für mich das großartige Gefühl der Gelassenheit, welches die Möglichkeit einer offenen Betrachtung aller Vergänglichkeit der Existenz in sich bergen kann. Seither fasziniert mich das simple phänomenologische Erklärungspotenzial sowohl der Existenzphilosophie als auch der Objektbeziehungstheorie. Es fing mit einem banalen Versuch an, die Wirkung von Musik und Klängen auf den Menschen und dessen Befindlichkeit zu analysieren und wurde zu einer Art Grundlegungsversuch einer Ontologischen Psychologie, also einer erweiterten psychologischen Perspektive, die das bloße Sein – die Existenz des Menschen – in solcher Art und Weise in den Fokus rückt wie sonst nur die Existenzphilosophie. Im Umgang mit anderen Menschen, aber auch mit mir selber, versuche ich seither diese Erkenntnisse der existenziellen Ebene der Angst vor dem Nicht- und Vereinzeltsein zu berücksichtigen. Es gelingt freilich nicht immer und manchmal auch gar nicht und dann wiederum sehr gut. Aber solange ich über einen reflexionsfähigen Verstand verfüge, versuche ich mir und meinen Mitmenschen als gemeinsam um die Existenz kämpfende Individuen zu begegnen. Individuen, die teilweise sehr ähnliche und dann wieder sehr einzigartige Werkzeuge im Kampf um das Dasein gebrauchen. Wir alle ringen dabei um dasselbe Ziel, die einzigartige und herausragende Existenz, die sich von der Vergänglichkeit allen anderen Seins abhebt. Dazu brauchen wir die anderen, die soziale Umwelt, welche uns dieses erhoffte Sein im Kontakt mit der Umwelt spiegelt. Wenn wir aber nach viel Reflexion unser Dasein als reinen Seinsentwurf erkennen, der uns vor Existenzangst bewahren soll, bricht selbst in den stärksten von uns ein Vulkan tiefgreifender Gefühle aus. Aber erst dann steht uns mit der Erkenntnis der Vergänglichkeit allen Seins der Weg für die Wertschätzung allen Lebens und damit einer grundlegenden Verhaltens- und Wahrnehmungsveränderung offen. Vieles Neurotische wird angesichts dieser Erkenntnis schlichtweg belanglos. Ein erzwungenes Bemühen um Mitgefühl für das Leiden der inneren Spaltung des Menschen in Entwurf (ideales oder entwertetes Ich) und Entwerfenden (beobachtendes Ich) ist dann auch nicht mehr nötig. Das Mitgefühl ist einfach da, denn beim Erleben des Leidens unseres Gegenübers am Dasein bricht auch immer wieder das eigene Leiden an der Vereinzelung der Existenz aus. In diesen Momenten des verzweifelten Kämpfens um das Sein sind wir Menschen alle gleich und grundlegend miteinander verbunden.
Was diese neue Auflage um die vorherigen erweitert ist ihre etwas veränderte und offenere Sichtweise bezüglich der allgemeinen Sinnfrage. Auch wenn die Existenzphilosophie Sartres einen außerhalb des Menschen existierenden Sinn des Seins völlig ablehnt und diesen als eine rein konstruierte Essenz unserer Existenz ansieht, so kann zwar durch die existenzphilosophische Analytik definitiv keine positive Aussage über etwas Höheres wie Gott getroffen werden. Jedoch gilt dies meines Erachtens genauso für den umgekehrten Fall. Es kann auch keine negative Aussage über die Existenz von etwas Sinnvollem getroffen werden, da wir die Wirklichkeit einfach nicht erkennen können, sondern in der Phänomenologie verhaftet bleiben müssen. Dies ändert nichts an dem zur Freiheit verurteilten Menschsein und an der damit einhergehenden Verpflichtung zur Verantwortung für sich selbst und auch für andere als Entwurf. Auch ändert dies nichts an der tatsächlich tief empfundenen Existenzangst vor Vereinzelung und Sinnlosigkeit, welche die Wurzel der psychischen Struktur bildet. Es ändert lediglich die Betonung von: „Es gibt keinen Sinn!“ hin zu: „Wir wissen nicht, ob es einen übergeordneten Sinn außerhalb unserer Konstruktionen gibt!“ Demnach ist die Existenzangst kein feststehendes menschliches Phänomen, sondern wird als ein solches empfunden und erlebt. Durch diese Einsicht stellen sich meine analytischen Erkenntnisse wesentlich toleranter dar als in den vorherigen Ausgaben. Keiner kann letztlich für sich die Wahrheit beanspruchen, sondern nur eine unter unendlich vielen.
Letzten Endes bleibt die Welt wohl bei allem wissenschaftlichen Bemühen um vollkommene Erkenntnis doch immer ein unergründliches Geheimnis, das umso größer wird, je mehr wir es zu verstehen glauben. Und so bleibt auch der Mensch samt seinem Seelenleben ein solches sowohl faszinierendes als auch unbegreifliches Geheimnis und verlangt in der Begegnung mit diesem Demut und Würdigung.



Andreas Mensch





Nachwort

Was ergibt sich nun eigentlich aus dem vorher Gesagten für die Bestimmung und Definition des Menschen? Ist er nun in seiner Freiheit seiner Selbstwahl als Für-sich ohne jede Chance auf ein An-sich völlig eigenverantwortlich für sein Handeln? Fakt ist, dass er mit seiner Erkenntnis stets nur immanent in seinem Bewusstsein gefangen bleibt. Weder etwas Übermenschliches noch etwas Äußeres scheinen ihm zu sagen, ob sein Denken und Tun falsch oder richtig sind. Er kann sich also auf keine höhere Moral berufen, sondern muss diese aus sich selbst heraus entwerfen. Theoretisch müsste er dadurch imstande sein, seinen Entwurf völlig frei von jeglicher Fremdbeurteilung zu wählen. Die notwendige Bedingung hierfür ist jedoch, wie bereits erwähnt, ein ausgereifter Neokortex (speziell der Frontallappen mit Fähigkeiten des Planens, Entscheidens, Zielsetzens, Verknüpfens von Gegenwart mit Zukunft und letztlich der Möglichkeit, sich von sich selbst als ein Seinsentwurf zu distanzieren), der über ein umfangreiches Überschauvermögen verfügt und damit auch überhaupt erst über die Fähigkeit, sich anders als im aktuellen Entwurf zu erfinden beziehungsweise zu fantasieren. Erst mit dieser ausgestatteten Intelligenz kann sich der Mensch infrage stellen und auch andere Möglichkeiten seines Seins erahnen. Geht man rein von diesem Standpunkt aus, dann ist der Mensch tatsächlich nicht faktisch, nicht beständig, nicht absolut und nicht vorherbestimmt. Durch sein Bewusstsein von sich selbst würde er dann voller Angst erkennen, dass er weder ein bestimmtes noch ein sinnvolles Sein ist, welches sich von den anderen Existenzen unterscheidet. Sein Selbstbewusstsein – also sein Bewusstsein von sich selbst – würde ihm dann unter gewissen Umständen, wie einer uneingeschränkten Selbstreflexion, alle seine Entwurfmöglichkeiten aufzeigen. Mit dieser Fähigkeit der Selbstdistanzierung von seinen bisherigen Selbstentwürfen wäre der Mensch hiernach sowohl nichts als auch alles, da er sich zu allem wählen und damit zu allem sein machen und entwerfen könnte. Er könnte in mutiger Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber seinen Entwurf frei wählen und wäre dadurch auch nicht mehr bestimmt, etwas zu sein, was er vielleicht gar nicht sein will. Wenn er sich beispielsweise durch die Spiegelungen der anderen als etwas Bestimmtes und Einengendes empfände, wäre er jederzeit auch frei, sich anders zu entwerfen und sich somit unabhängig von der Beurteilung der ihn unmittelbar umgebenden Umwelt zu machen. Das klingt doch irgendwie sehr verlockend… Er müsste dann freilich auf die wunderbare und tröstende Illusion verzichten, absolut und durch eine Essenz definiert zu sein. Jedoch hätte er in der Freiheit, die Essenz nach seiner Existenz selbst zu bestimmen, alle Möglichkeiten offen, sich existent zu machen. Er würde in seinem freien Entwurf natürlich auch eine subjektive Perspektive auf den Menschen mitbegründen, da dieser Blickwinkel reflektierbar ist und ein vor sich und anderen zu verantwortendes Menschenbild beinhaltet, welches er nach außen hin sichtbar vertritt. In dieser Freiheit wäre er ganz klar für andere und sich selbst verantwortlich, da er die Welt für sich in seinem Bewusstsein nach seinem eigenen individuellen Entwurf erschafft. Nur sein Handeln im Entwurf würde dann sein Sein bestimmen. Und nur durch dieses Handeln könnte er beurteilt werden. Der Mensch wäre demnach nur das, was er tut. Es gäbe nur seinen aus unendlich vielen Möglichkeiten frei gewählten Entwurf, der sich in der reinen Aktion und nicht im Selbstdarstellen offenbart. Eine weitere bereits angedeutete Bedingung für diese Freiheit ist jedoch, dass man seine vielfältigen Entwurfanteile auch alle kennen muss, um sich von ihnen distanzieren zu können. Aber ist denn das überhaupt möglich? Von welchem Standpunkt aus könnte man denn alle seine potenziellen Entwürfe erblicken und damit frei wählen? Müsste ich denn hierzu nicht gerade buchstäblich transzendent außerhalb meines Bewusstseins stehen? Und wie sieht es mit der realen und scheinbar unproblematischen Umsetzung der oben geschilderten absoluten Freiheit aus? Gibt es da nicht spürbare und stark emotionale Widerstände in Form von Existenzängsten, der Angst vor Vereinzelung, Sinnlosigkeit und Tod?
Zur Klärung dieser Frage ziehen wir erneut die bereits ausführlich dargelegte Objektbeziehungstheorie heran, deren grundsätzlichen Postulate man hierbei nicht außen vor lassen darf, wenn man auch die erwähnten Widerstände verstehen möchte. Genau an diesem Punkt treffen und ergänzen sich Existenzphilosophie und die Objektbeziehungstheorie der modernen Psychoanalyse. Es wurde festgestellt, dass der Mensch keineswegs zu jedem Zeitpunkt seiner lebensgeschichtlichen Entwicklung über einen voll ausgereiften Neokortex und damit über ein ausgeprägtes Reflexionsvermögen verfügt. Gerade in den ersten Jahren der frühen Kindheit bis zur Pubertät erfolgen noch eine umfangreiche Ausbildung und Umformung des Gehirns durch zahlreiche Umwelteinflüsse. In der Interaktion mit der Umwelt werden grundlegende Objekterfahrungen zunächst auf rein somatisch-vegetativer Ebene gesammelt und verinnerlicht. Diese bestimmen dann sowohl unseren Umgang mit uns selbst als auch unser Bild von uns und damit unseren grundlegenden Entwurf. Da der Säugling zunächst nur durch primäre emotional-triebhafte Objekterfahrungen und deren allmähliche Internalisierungen eine undifferenzierte Psyche aufbaut, existiert vorerst noch keine innerpsychische Instanz, die man verstehendes Bewusstsein von sich selbst nennen könnte. Er verspürt sowohl seine Ablehnung durch die Umwelt als auch sein Angenommensein von ihr zuerst nur als rein triebhafte und somatisch-vegetative Erfahrung. Existenzielle Angst sowie ihr Gegenstück, die manisch-omnipotente Angstfreiheit, wirken also tief unbewusst in phylogenetisch älteren Hirnregionen sowie Organkomplexen und entziehen sich größtenteils dem späteren kognitiven Bewusstsein. Der Mensch bekommt also sein erstes Bild von sich selbst und seiner Umwelt ausschließlich von den Spiegelungen der ihn umgebenden Menschen auf zunächst somatisch-vegetativer und später kognitiver Ebene eingepflanzt. Erst dann, wenn er über eine Vielzahl an differenzierteren Selbst- und Fremdbildern durch verschiedene Objekterfahrungen im weiteren Entwicklungsverlauf verfügt, kann er einen Perspektivwechsel zwischen den nun verschiedenen und abgegrenzten Entwürfen vollziehen und so auch zwischen ihnen wählen. Dies wiederum ist auch nur unter der Bedingung einer gewissen Intelligenz möglich, die auf einem ausgereiften Neokortex beruht. Ich muss schließlich in der Lage sein, meine verschiedenen Entwurfanteile zu überblicken, um sie wählen zu können. Daraus folgt aber, dass man wirklich restlos alle seine verschiedenen Seinsentwürfe, einschließlich der allerersten und durch die frühkindliche Amnesie nicht mehr bewusst abrufbaren triebhaften, kennen müsste, um gänzlich frei wählen zu können. Um sie aber dennoch zu erkennen, müsste ich sie insbesondere kognitiv erfassen können, da mein begriffliches Denken die mitteilende Sprache des gereiften Bewusstseins des Menschen ist. Wenn mein überschauendes Bewusstsein in erster Linie das Resultat internalisierter Objekterfahrungen ist, dann können auch alle späteren psychischen Inhalte wie die Art und Weise zu denken und wahrzunehmen letztlich nur aus bereits gemachten Erfahrungen erlebter und verarbeiteter Perspektiven einst realer Objekte aus der Umwelt bestehen. Das Denken und Wahrnehmen (Bewusstsein) sind also nichts Unabhängiges, mit dem ich meine Entwürfe einfach im Raum schwebend überblicken kann, als seien sie diejenigen einer fremden Person. Die Art und Weise des Denkens und Wahrnehmens sind mit ihrer Kopplung an primäre Introjektionen vielmehr selber ein Sich-engagieren sowie Sich-in-Situation-begeben und damit ein Entwurf und Ausdruck des Seins. Man ist also immer Entwurf und zugleich Entwerfender. Dabei ist es egal, was man denkt, wahrnimmt, fühlt oder tut. Nur werden eben in der Selbstreflexion beide Rollen dennoch grundlegend als voneinander entzweit empfunden, da man den Entwerfenden niemals erblicken kann. Das Bewusstsein konstruiert und nichtet den Seinsentwurf wieder. Versucht der Mensch jedoch den Konstrukteur zu erblicken, erkennt er lediglich nur wieder einen Entwurf von sich selbst, dreht sich einmal im Kreis und bleibt letztlich auch hierin immer nur immanent. Er bleibt sich selbst unerkannt und entwirft sich solange, bis er sich selbst wieder mit Hilfe der Fremd- oder Selbstreflexion als ein ursprünglich in das ungespaltene organismische Ich introjiziertes Objekt und damit als einen Entwurf bewusst erkennt. Es ist also egal, welche Perspektive man in seinem Bewusstsein einnimmt. Es wird immer eine Kameraposition bleiben, in welcher selbst nur wieder unbewusst ein früheres Introjekt als Kameramann filmt. Ein Entrinnen aus dieser ewigen Kette aus fortlaufenden Neuentdeckungen und Nichtungen von Seinsentwürfen kann es folglich nicht geben, da man sonst ein außerhalb des Bewussteins stehendes stetiges und transzendentes Sein (An-sich) implizieren würde, aus dessen Perspektive man sich unabhängig von jedem Introjekt und jeder bisherigen Umwelterfahrung stetig reflektieren könnte. Man kann sich also nie von allen Introjekten befreien. Die Qualität des reflexiven Cogitos unterliegt somit letztlich auch nur wieder einem Entwurf und bleibt folglich immanent Für-sich. Jedes Reflektieren ist im Grunde doch nur wieder Entwurf auf einer anderen Ebene und damit lediglich ein Perspektivwechsel zwischen bereits gemachten Seinserfahrungen. Hieraus resultiert aber auch, dass der Mensch umso freier in seiner Seinswahl ist, je vielfältigere Umwelterfahrungen und Perspektiven er für seine Entwürfe sammelt. Schlussfolgernd kann es eine letzte völlige Freiheit einer Seinswahl – also einen gänzlich freien Willen – ohne die vollständige Kenntnis unserer Entwürfe demnach nicht geben. Denn gerade unsere frühesten Erfahrungen mit den uns umgebenden Menschen bilden die grundlegendsten Seinsentwürfe auf noch somatisch-vegetativer Ebene und bestimmen dadurch unser frühestes Denken, Fühlen, Wahrnehmen und folglich Handeln. Damit färben die frühesten Erfahrungen mit ihrer existenziellen Qualität alle späteren Beziehungserfahrungen und Selbstentwürfe ein. Eine Anpassung an die gewünschten Umweltbedingungen sichert also zunächst die grundlegende Existenz, auch wenn dies später überflüssig wird, da der Organismus sich selbst versorgen kann und unabhängiger von seiner Umwelt ist. Ganz unabhängig von der Bewertung durch andere wird der Mensch jedoch niemals sein, da er durch die Tatsache, dass seine psychische Existenz zu einem gewissen Teil aus Objekteinverleibungen besteht, grundlegend von dieser frühesten Objektwelt geprägt wird und von dieser in einer Entwicklungsstufe abhängig bleibt, in welcher noch keinerlei alternative, differenzierte und kognitiv ausgereifte und reflektierbare Entwurfmöglichkeiten vorhanden sind, da weder eine bereits ausreichende kortikale Reifung bestand noch genügend Objekte einverleibt werden konnten. Wenn man sich in einer fremdunterstützten Selbstreflexion selbst betrachtet und dabei den Standpunkt des Therapeuten einnimmt, dann ist auch dies wieder die Perspektive eines neuen Introjekts, welches nun ein weiterer differenzierter Bestandteil der eigenen Psyche wird und so das Selbstkonzept erweitert. Um es noch einmal zu betonen: Je weiter man in der Entwicklungsgeschichte zurückgeht, desto weniger kognitiv ausdifferenzierte Introjekte – also Selbstentwürfe – sind psychisch verankert, da eben noch viele Erfahrungen mit der Umwelt fehlen oder diese zunächst nur somatisch-vegetativ gespeichert werden können. Zur Zeit der ersten konstanten Objekterfahrungen ist also noch überhaupt kein alternatives, abgegrenztes und reflexionsfähiges Objekt (Ich) zur ersten Bezugsperson introjiziert. Dies führt dazu, dass einfach kein anderes verinnerlichtes Objekt beziehungsweise keine andere Entwurfmöglichkeit existiert, deren Perspektive man alternativ einnehmen könnte, um sein anderes Introjekt zu beobachten und eine Distanz zu diesem einzunehmen. Und gerade dies führt dazu, dass unsere frühesten Erfahrungen nur aus einer einzigen Perspektive des primären organismischen Introjekts heraus erlebt werden können und das eben noch nicht kognitiv, sondern eher intuitiv, symbolisch und somatisch-vegetativ. Zwar kann dieser primäre Entwurf – das erste Ich, wenn man so will – durch spätere Beziehungserfahrungen erweitert und überbaut werden, jedoch bleibt immer der unbewusste und unzugängliche ambivalente Kern darunter erhalten und färbt alle weiteren Beziehungen ein. Es gibt sozusagen noch kein alternatives kognitives Ich, welches das andere primäre gespaltene Ich bewusst reflektieren könnte. Und eben deshalb sind die frühesten Erfahrungen dem späteren Bewusstsein einfach nicht zugänglich. Es gab damals buchstäblich noch keinen anderen in mir, der mich hätte beobachten können. Es gibt einfach keine Erfahrung des ersten Ichs, des primären Seinsentwurfs. Bei der ersten ambivalenten Introjektbildung von einer Art Prägung zu sprechen, ist sicher nicht übertrieben. Um wirklich absolut frei zu sein, müsste man nicht nur unabhängig von seinem Bewusstsein sein, sondern auch ganz bewusst zurück zur ersten Objekterfahrung der individuellen Existenz gehen, um sie als solche reflektieren und sich von der von ihr ausgehenden existenziellen Angst distanzieren zu können. Und hierzu wäre es theoretisch eine therapeutische Notwendigkeit, dem noch undifferenzierten, somatisch-vegetativen und von Affekten bestimmten ambivalenten Ich ein alternatives und gleichbedeutendes Introjekt mit sowohl frühkindlichen somatisch-vegetativen als auch reiferen kognitiven Qualitäten zur Seite zu stellen, um eine Übersetzung der frühesten Eindrücke in ein kognitiv Verstehbares und damit in ein vermehrt Kontrollierbares zu ermöglichen. Aber wie soll ein solches Introjekt mit beiden Qualitäten gleichzeitig neben das geprägte ambivalente Kern-Ich eingepflanzt werden, wenn der Therapeut nicht in die Vergangenheit des Betroffenen zurückgehen kann, um sich ihm alternativ als heilsames primäres Bezugsobjekt zur Verfügung zu stellen? Und wie soll das gelingen, wenn der Therapeut heute selber nur noch über die überwiegend kognitiven Qualitäten seines Bewussteins verfügt jedoch nicht mehr über die vegetativ-somatischen? Selbst wenn Therapeut und Klient sich unbewusst auf tiefster Ebene begegnen könnten, so bleibt noch die Frage nach der Übersetzbarkeit der intuitiven, symbolischen und somatisch-vegetativen Erfahrungen in etwas kognitiv und verbal Begreifbares offen. Ein Therapeut kann sich seinem Klienten also nur als ein stützendes und vermittelndes Hilfs-Ich zum bereits bestehenden primären ambivalenten Ich des Klienten anbieten, dieses jedoch nicht durch sein eigenes, unabhängiges und überschauendes Ich ersetzen. Hieraus folgt meines Erachtens, dass der Mensch tief unbewusst eben doch ein Leben lang bis zu einem gewissen Maß existenziell von der Bewertung, Bewunderung und wertschätzenden Zuwendung seiner Umwelt abhängig bleibt, da er die primären Entwürfe nicht als solche zu reflektieren vermag (zumindest nicht kognitiv) und in ihnen dadurch unmerklich involviert bleibt, wenngleich in geringerem Ausmaß als zur Zeit der frühesten Umwelterfahrungen seiner Existenz. Dies impliziert aber auch seine grundlegende und notwendige soziale Ausrichtung. Er will nämlich wegen seiner tiefen inneren Spaltung in Gut und Böse und seinem stetigen Zweifel an seinem Gutsein immer als gutes und angenommenes Wesen physisch wie psychisch von außen gespiegelt werden.
Wie sehr sich der Mensch auch reflektiert und wie viel Selbsterfahrung er hat. In seinem Entwurf konstruiert sich der Mensch seine Welt immer erst nach seinen bereits gemachten Erfahrungen und Differenzierungen wie seit Beginn seiner Ontogenese. Es steht also die unberechenbare prälogische Erfahrung vor dem Begreifen derselben und damit auch vor der bewussten Wahl! Vielfältige Objekterfahrungen sind somit die notwendige Bedingung für das Treffen einer freieren Wahl, da sie gewissermaßen das Baumaterial für neue Kombinationen an Entwürfen bilden. Wenn aber die ersten Erfahrungen mit der Umwelt nur aus derselben stammen können, dann sind sie nicht von Beginn an rein subjektiv, sondern aus der Objektwelt unreflektiert einverleibte und mit dem Organismus verwobene Sinneseindrücke, da zu dieser Zeit noch keine intrapsychische Instanz zugrunde liegt, die die ersten Eindrücke aus einer innerlichen Distanz hätte reflektieren können. Es sind überwiegend Umwelteinflüsse mit somatisch-vegetativer, emotionaler und daher eher prälogisch-intuitiver Qualität, deren Motive ich selbst als reflektierender Erwachsener nicht ohne weiteres erkennen kann. Hier tut sich deutlich die Grenze der realen und vollständigen Umsetzbarkeit des SARTRESCHEN Existenzialismus auf. Denn ganz offensichtlich stehen sich hier kognitive Kontrolle und unreflektierbare primäre Grundentwürfe, die mein aktuelles Handeln, Fühlen und Denken stets mit unbewussten früheren Eindrücken einfärben, gegenüber. Auf der einen Seite steht der Anspruch, alles Innerpsychische durch Selbstreflexion kontrollieren zu können. Auf der anderen Seite können gerade die frühesten und sowohl von Verschmelzung als auch von Abhängigkeit zum primären Objekt geprägten Introjekte samt ihrer existenziellen Gefühlswelt nicht vollständig reflektiert werden, da sie selbst keine rein kognitive und sprachlich-begriffliche übersetzbare Erfahrung und Qualität darstellen. Die Willensfreiheit wird also maßgeblich durch die Funktion des Neokortex bestimmt. Und eben dieses Hirnareal ist das typisch menschliche und, phylogenetisch betrachtet, am höchsten entwickelte. Da aber bereits viele subjektive Erfahrungen zu einer sehr frühen Zeit einer noch unzureichenden kortikalen Entwicklung in der Ontogenese gemacht wurden, waren hierbei größtenteils tiefere und ,primitivere’ Hirnschichten involviert, die in ihrer archaischen, instinkthaft-reflexartigen und emotionalen Qualität nur begrenzt dem Reflexionsvermögen des Neokortex zugänglich sind. Absolute Freiheit gibt es demnach nur, wenn – bildlich gesprochen – auch das letzte neurotisch gespaltene Ich bis hin zur ersten reinen vegetativen und emotionalen Erfahrung des ursprünglichen organismischen Ich regressiv erfasst wird und dadurch reflektiert ins Wanken gerät. Dann versagt jedoch sogar die autoerotische oder autoaggressive Selbststimulation und weicht der Psychose zur Abwehr der mit der Freiheit einhergehenden und plötzlich frei flottierenden Nichtseinsangst. Und niemand wird diese ein Leben lang anhaltende überwältigende und regressive Macht der existenziellen Gefühle wie Angst, Hass, Liebe, Trauer oder Freude leugnen. Der Mensch ist eben kein Übermensch. Er ist demnach also nur begrenzt frei, was freilich keine Rechtfertigung für sozial schädigendes Verhalten bedeutet. Er muss natürlich Fehler, die möglicherweise auch frühesten geprägten Mustern entsprechen, erst einmal machen. Aber durch eine zunehmende Reflexion seiner Muster kann er diese in der Zukunft vielleicht immer schneller an sich wahrnehmen und sie als etwas Natürliches, Schützendes und Notwendiges anerkennen, auch wenn sie nicht dem bisher erwünschten Selbstentwurf entsprechen. Dies führt längerfristig zu einer Aufweichung des einseitigen und existenziell einengenden Selbstentwurfs und damit zu mehr Selbstakzeptanz, Selbstannahme und Selbstliebe. So können vermeintlich destruktive Muster leichter akzeptiert, reintegriert und in ihrer Ausführung wegen der zunehmenden kontrollierenden Bewusstheit von ihnen immer schneller und vollständiger unterbrochen werden. Nur im Erkennen und Akzeptieren seines Verhaltensmusters als ein ständiges Streben nach Entsprechung seines Selbstentwurfs gewinnt der Mensch letztlich mehr und mehr Freiheit, Gelassenheit und Ruhe im Sein. Hierbei hilft ihm die immer wiederkehrende Einsicht in die Nutz- und Sinnlosigkeit seines Strebens nach Selbstverdinglichung und Verewigung entsprechend seinem einengenden und auf positive Zuwendung ausgerichteten Seinsentwurf. Nur die Akzeptanz dieser Sinnlosigkeit und Vergeblichkeit dieses neurotischen und ständig treibenden Versuches der Verschmelzung von beobachtbarem idealem (erotischem) Sein mit entwerfendem Sein ermöglicht ein verstärktes psychisches sowie physisches Loslassen von der Idee, etwas Besonderes, absolut Gutes und zeitlich Überdauerndes sein zu müssen. Menschsein bedeutet ein sich ständig wandelnder Entwurf zu sein, der sich in jeder tiefen Erfahrung und Begegnung mit der Umwelt durch Assimilation derselben verändert. Man kann natürlich versuchen, sich mit aller geistigen Anstrengung selbst sein setzender idealer Grund zu sein. Das bedeutet jedoch nichts anderes, als einer Illusion und vergeblichen Selbsttäuschung nachzujagen. Zwar bleibt man durch die natürliche frühe Spaltung des organismischen Ich tief in der Seele in seinem Grundentwurf immer in einem gewissen Maß existenziell von der positiven Seinsspiegelung durch die Mitmenschen der Umwelt in vertrauensvollen und verbindlichen Beziehungen in der Art abhängig, wie man es als Säugling gegenüber seiner Mutter war. Das bedeutet, dass früheste psychische Schutzmechanismen, die das ungespaltene organismische Ich vor Ablehnung durch die versorgenden Bezugspersonen und damit auch vor Existenzangst schützen sollten, immer bis zu einem gewissen Maß aktiv bleiben werden. Man wird jedoch durch die Akzeptanz der Tatsache, dass es in Wirklichkeit nicht mehr die reale physische Existenz zu verlieren gibt, sondern nur eine frühere Essenz, die fälschlicher Weise fortwährend für die reale Existenz eines überdauernden Ichs gehalten wird, zunehmend freier und weniger neurotisch im Entwerfen und Verteidigen des Entwurfs. Das gute Ich (erotisch), welches ständig vor der Anzweiflung des von ihm abgespaltenen bösen Ich (aggressiv) verteidigt werden muss, wird in der Erfahrung, dass beide Ichs ein Teil desselben ungespaltenen organismischen Ichs sind, immer überflüssiger und erlaubt einen ungehinderten angstlosen Kontakt mit der Umwelt. Es gibt nichts zu werden, nichts zu erreichen und dadurch auch nichts zu verlieren. Man ist immer das, was man gerade in seiner Erfahrung als Für-sich ist; nicht mehr und nicht weniger. Mit dieser zugleich schmerzlichen als auch befreienden Einsicht in die menschliche Existenz kann sich auch eine zunehmende psychische und physische Entspannung einstellen. Genau das zu erkennen und zu erfahren, bemüht sich in einer existenziell verbindlichen Beziehung unter anderem die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Nur eine solche reflektierte, authentische und existenziell verbindliche Beziehung ermöglicht meines Erachtens eine wirklich tiefe Selbst- und Fremdakzeptanz durch eine gefahrlose, kindliche, urvertrauensvolle und selbstvergessene Begegnung von noch ungespaltenem, natürlichem und organismischem Ich mit seiner versorgenden und gefahrlosen Umwelt. In ihr findet dann ein ungespaltenes Sich-in-Situation-begeben und damit ein echter selbstvergessener Kontakt statt, der wiederum einen steten lebensnotwendigen Assimilationszyklus ermöglicht.



“Denn wenn der Geist gespalten ist, und das geistige Ich der gegenwärtigen Erfahrung entrinnen möchte, ist der ganze Begriff einer übernatürlichen Welt sein günstiges Versteck. Dies Ich widersetzt sich einem ungünstigen Wechsel und klammert sich daher an das unwandelbare Absolute, dabei vergessend, daß dies Absolute auch das Nichtfeststehende ist.“

Watts, A. W. (1992). Weisheit des ungesicherten Lebens, S. 138 f., 8. Aufl., Bern und München: Otto Wilhelm Barth Verlag

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